23.01.2024

Briefe



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ID: 18469
Geschrieben am: Donnerstag 17.10.1889
 

Worcestershire
October 17. 1889.

Sehr verehrte Frau
Wenn ich meinen Empfindungen bei’m Lesen und Wiederholten Lesen
der mir gesandten Auszüge aus Ihrem Tagebuche 1847 & 1850. Ausdruck verliehe, oder auch meiner Dankbarkeit für diesen reichen, uns gebotenen Schatz, würden Sie, ich muß es befürchten, an der Wahrheit meiner Worte vielleicht zweifeln. Ich unterlasse es desshalb, und zwar nur aus diesem Grunde, und erbiete Ihnen nur tiefen Dank, in das die Verfasser der Biographie voll anstimmen werden, für das ihnen Gebotene und außerdem meinen persönlichen warmen dafür, daß Sie sich der großen Mühe unterzogen haben, die Einträge selbst abzuschreiben. Dies macht mir ein wenig Kummer, doch nehme |2| nehme ich an daß Sie kaum Etwas so delikater Art Andern überlassen wollten. Was die Auszüge selbst betrifft, so bin ich besonders froh über den aus Wien im Januar 1847, nicht nur, weil er Jenny genau schildert wie sie war, sondern complet einen Art offiziellen Bericht in einer Wiener Musikzeitung zu Grunde richtet, die während zweier Jahre nicht aufhörte einen gehässigen Ton gegen sie fortzuführen, und das Publikum dort für <E> seinen Enthusiasmus zu geißeln. Die Auszüge vom März 1850 sind gleich rührend. Ich erinnere mich des Hamburger Concertes sehr wohl, wo ich nicht allein die Ehre hatte, ihnen umzublättern, sondern auch die, von Ihrem verehrten Manne inseiner zarten Weise geneckt zu werden über die freundliche Weise, mit der meine nachherige Frau mich behandelte. Ich hatte sie während des Winters wiederholt in Lübeck getroffen – vor Weihnachten und im |3| Winter 1850 – und viele viele Lieder Schumanns, die sie bewegten und entzückten, sang sie bei meinen Besuchen. (zu meiner Begleitung) Dann hatte sie nur erst wieder begonnen Mendelssohn’s Weisen singen zu können – was ihr, mit Ausnahme des Elias seit seinem Tode – so erklärte sie ernst – unmöglich bis dahin gewesen war. Verzeihen Sie, verehrte Frau, diese Abschweifung. Was nun die Fassung Ihrer edlen Worte betrifft, so wage ich zu behaupten, daß ihr großer Reiz der Spontaneität abgeschwächt werden würde – legte man an sie die Feile – selbst sollten sie dies erfordern, was mir an keiner Stelle erschienen ist. Indessen da Sie die Erlaubniß zu Benutzung dieses so schönen Materials gegeben, so will ich auch jene gütige Erlaubniß den beiden Verfassern der Biographie mittheilen, und dann Ihnen daraus nicht unnöthige Mühe erwächst, so möchte ich Ihnen das Manuscript an den Stellen, wo Ihre Auszüge benutzt sind, zu gefälliger Durchsicht s. Zeit zustellen, genau wie es mit den Beiträgen der Königin Victoria und ein oder zwei Anderer geschieht. Den Brief über N. Falck sende ich Ihnen binnen Kurzem zurück. Sie erwähnen nichts über Ihre Antwort: |4| Jenny sang für sie in Altona Ende November, nachdem sie am 22ten in Hamburg in der Tonhalle für mich gesungen hatte, genau mit gleicher Güte in mich dringend, ihren Beitritt anzunehmen, wie Ihre Beschreibung das so schön constatiert. Ein Wort nur kann ich nicht lesen in Ihrer Abschrift: In Altona am 21ten März 1850 – nach dem Singen des „Sonnenschein“ sagt Dr Schumann „Da scheint Einem wahrhaftig die Sonne auf den (was?) Buckel =(? Rücken) Nun verehrte Frau, wenn ich geschwätzig gewesen, so tragen Sie – Ihre Güte – Ihre tiefe Erkenntniß von Jenny’s Wesen – und ihrer Kunst – (Und sie Beide waren unauslöschlich verwachsen!) daran die Schuld und ich will nicht ein mal Ihre Nachsicht anrufen. Wie sie Ihre Erkenntniß erwidert – mit welchem schwärmerischen Interesse sie an Ihm und Ihnen gehang[en,] ich glaube, Sie wissen es. Zum Schluß möchte ich Sie noch, falls Sie wieder an mich schreiben, um ein Wort Ihren jungen Londoner Schüler Borwick betreffend, ersuchen. Seine Freunde wünschen, daß er in einem Concerte der philharmonischen Londoner Gesellschaft spiele – zu deren Direction ich gehöre. Hat er – in seinem eignen Interesse dazu bereits die Ruhe und Reife?
Verehrte Frau
Ihr ganz und tief ergebener Otto Goldschmidt
17. Oktober 1889

Meine Adresse ist die Londoner Moreton Gardens S. W
Die Biographie schließt mit dem Herbst 1850, nicht mit seinem Anfang
ab.

  Absender: Goldschmidt, Otto (546)
  Absendeort: Worcestershire
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
257- 260

  Standort/Quelle:*) GB-Ob, s: Ms. M. Deneke Mendelssohn c. 1, fols. 48-49; Abschrift in D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 5,269
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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