23.01.2024

Briefe



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ID: 18526
Geschrieben am: Sonntag 02.10.1859
 

Frankfurt a/M 2. October 59.
Verehrteste Frau! In Folge eines Ausfluges von Heidelberg aus ist mir Ihr Schreiben etwas verspätet zugekommen; ich hoffte dann Sie in wenigen Tagen selbst zu sehen. Da dies aber nicht der Fall ist u. ich durch Geschäfte in F. aufgehalten werde, beeile ich mich nun, Ihnen in wenigen Worten zu sagen, daß Sie Ihre Kinder dem Institut Hofmans ganz wohl anvertrauen können. Der Eindruck, den Ihnen Frau H. gemacht, war, entschuldigen Sie, nicht der treffendste; es ist eine vortreffliche, gute Frau, die für die ihr anvertrauten Kinder aufs Beste u. Möglichste Sorge trägt. Sie ist mir lieber als ihr Mann, der sich manchmal durch Derbheit auszeichnet, diese aber den Zöglingen gegenüber zu unterdrücken versteht. Die Zöglinge leben daselbst wie en famille u. der Moment, dem Instititute [sic] neue anzuvertrauen, ist sehr günstig, da in Folge des Krieges die französischen zurückgerufen wurden, andere anderer Familienursachen wegen in ihre Heimath zurückgekehrt sind, so daß die Zahl sich auf 16–18 reduzirt u. die Lehrer sich mit den einzelnen beßer beschäftigen können. In Bezug auf Beaufsichtigung der Zöglinge u. ihrer Sachen u. Angelegenheiten habe ich wenige oder gar keine Klagen gehört, wenn nicht etwa, daß einmahl Strümpfe des Einen |2| sich im Kasten des anderen fanden. Ob dieses ein leichtes oder schweres Verbrechen oder auch nur ein Vergehen zu nennen sei, wird Ihr hausmütterliches Urtheil entscheiden. – Am besten lernen die Kinder, so weit ich beobachten konnte, die englische Sprache; am aufmerksamsten ist Herr Hofmann in Beziehung auf Styl u. Ausdrucksweise. Die Kinder fühlen sich sehr heimisch, sind heiter, gesund u. leben in sehr herzlicher Eintracht. Die Kost ist sehr einfach, aber gesund u. kräftig; die Schlafstuben etwas kasernenhaft, aber zweckmäßig. Viele Knaben sind seit mehren Jahren in dem Institute; dieser Tage reist einer ab, der mehr als fünf Jahre daselbst verbrachte u. ein anderer, ebenfalls nach mehren Jahren, nur weil er in Folge von Todesfällen das einzige Kind seiner Mutter geworden, die ihn nun in ihrer Nähe haben will. Ich führe diese facta an, weil sie sprechender sind, als meine Beobachtungen sein können und weil ich in Folge der großen Liebenswürdigkeit, mit der |3| man mich behandelte, partheiisch sein möchte. Doch muß ich hinzufügen, daß ich nicht glaube, das Institut erziehe gelehrte Menschen, wohl aber, daß man mit praktischen Kenntnißen solid ausgerüstet dasselbe verlaßen könne, wenn nur geringer guter Wille vorhanden ist.
Mit herzlichsten Empfehlungen an Sie u. Frl. Marie u. eben solchen Grüßen an Hiller bin ich Ihr ganz ergebener
MHartmann
(b. Herrn Joseph Hiller)

  Absender: Hartmann, Moritz (623)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
538ff

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,279
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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