Verehrteste Frau Schumann!
Das ist ja höchst sonderbar mit Wiesbaden! Wenn ich abergläubisch wäre, dächte ich an eine Art von Vorherbestimmung, und dass ich nun rasch hin müsste, um weitere Opfer zu verhindern. Ich bin aber leider zu klug, um die Dinge ganz nach dem Apetit zu beurtheilen, den sie bei mir erregen, komme mir überdies vor wie ein eingefangener Vogel, der seine Flügel gar nicht mehr versuchen darf. Trotz der höchst peinlichen Verschleppung meiner Berufung nach Berlin muss ich mich doch als gebunden betrachten, und muss überdies als guter Christ Kiel Gesundheit und langes Leben wünschen.
Ich gestehe, dass ich jetzt seit 2 Monaten gar nicht mehr an die Zukunft gedacht habe, auch sonst keinen Schmerz gefühlt, als blos neulich, wie Ihre Absage kam! Wenn das nicht wäre, könnte ich Ihnen viel Schönes vom neuen Gew.Haus erzählen! Ich sehe übrigens in einigen Tagen Joachim, und will ihn mal wieder auf die Berliner Geschichte bringen; vielleicht verzichtet er auf mich, dann komme ich gewiss nach Wiesbaden!
Hat das Concert von Stockhausen wirklich stattgefunden? Wir hörten gar nichts mehr davon, und lechzen nach der Einnahme.
Am liebsten aber hörten wir, dass es Ihnen recht bald wieder gut gehe, und Sie sich auf den Weg nach Leipzig machten! Denn ganz werden Sie uns doch nicht im Stiche lassen? Zweimal wurden Sie uns geschenkt, und zweimal wiedergenommen! Das ist sehr hart!
Mit den herzlichsten Grüssen von meiner wackeren Frau in treuester Verehrung und Ergebenheit
Ihr
Herzogenberg
9. Dez 84
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