Leipzig, 16. November 1885.
Hochverehrte Frau!
Wie sehr haben Sie mich durch Ihren Brief und die Empfehlung des Herrn R. erfreut! Ich wagte es blos darum nicht, Ihnen zum 13. Sept. zu schreiben, weil Sie, Beste aller Menschen! sich für verpflichtet halten, einen solchen Wunschbrief zu beantworten — und fo köstlich es auch ist, ein solches Autograph mehr zu besitzen, man ist doch zu bescheiden, um es um den Preis, Sie anzustrengen und Ihre Zeit zu usurpiren, hervorzulocken. Um so glücklicher war ich nun, ohne Zwang einen so lieben Brief zu erhalten und den jungen prächtigen Menschen dazu, der meinen sieben Raben als Muster guter Erziehung und feiner Sitte dienen kann. Er hat sich rasch in meinem Hause acclimatisirt, auch bei meiner Schwester, welche diesen Winter hier ist.
Man hört allerlei thörichtes Gerede, daß Sie vielleicht doch nicht kommen würden in nächster Zeit. Ach geliebte Frau Schumann, wie können Sie nur schwanken! Wenn ich eine Stadt von über 100000 Einwohnern glücklich machen könnte, - ich reiste nach Australien! Und Sie sind doch sonst so unendlich gut! — Schaden wird es Ihnen gewiß nicht, keine gute That schadet. Die Coupés sind ja geheizt, und hier schlagen Ihnen alle Herzen so warm entgegen, daß Sie nicht frieren können. Und wenn Sie nicht kommen, wird Sie hinterher eine trübe Stimmung beschleichen — Gedanken an das kommende Alter, an die Vergänglichkeit aller Schönheit und Größe, und was da noch alles für dummes Zeug Einem anfliegt. Und das ist dann die Strafe! Gott hat Ihnen die ewige Jugend und die ewige Kunst nicht umsonst geschenkt. Sie müssen sie brauchen, uns gönnen!
Seien Sie mir nicht bös, daß ich mich erdreistete, dies Alles zu schreiben. Es war gut gemeint von
Ihrer treu ergebenen
Hedwig v. Holstein.
[Hedwig von Holstein, Eine Glückliche. Hedwig von Holstein in ihren Briefen und Tagebüchern, Leipzig 1901, S. 319 f.]
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