Berchtesgaden, Wesenheim, den 21. Iuli 1892.
Hochgeehrte Frau!
Hier auf dem Salzberge mahnt mich Alles an die schönen Sommer, die Sie hier verbracht und durch Ihre Gegenwart belebten, daß ich Ihnen einen schriftlichen Gruß schicken muß! Bin ich doch sogar auf Ihren letzten Gesundheitsbericht von fremder Hand noch Antwort schuldig! — Gott sei tausendmal gedankt, daß es Ihnen besser geht; — Herzogenberg schrieb mir, daß Sie sich am Lago maggiore wohler fühlten — wo Sie aber jetzt sind, das weiß Niemand! — Auch in Wien wurde ich auf die schönste Weise an Sie erinnert, liebe, liebe Frau Schumann. Ich hätte laut aufjauchzen mögen, als ich den Schumann-Raum betrat; ein ganzes Zimmer voll Bilder und Manuscripte Ihres Gatten und von Ihnen.
Ach, Ihr Jugendbild von Fechner!! das kennt ja Niemand und ist des Reizendste das sich denken läßt! Alles, was später aus Ihnen geworden ist, steht da noch in der Knospe, und man kann es schon heraus lesen. Wenn noch keine Photographie davon existirt, bitte, bitte, bitte, lassen Sic gleich welche machen, sobald Sie das Bild zurück haben. Ist es Ihnen zu unbequem, wollen Sie mir es anvertrauen? Die ganze Welt wird darauf brennen und es kaufen wollen!
Ich kam ganz zufällig nach Wien, war in meiner Villa in Aussee, um dort nach dem Rechten zu sehen, als meine Freunde Vesque von Pttttlingen mich baten, sie in Enzersdorf bei Wien zu besuchen, wo die liebe Mutter an einer Krankheit darniederliege, von der sie nicht wieder aufstehen werde. In solchem Falle giebt es kein Besinnen, ich fuhr auf der Donau hinunter und kam ganz allein in die große Stadt, wo ich seit 1858 nicht gewesen war, und von deren neuer Schönheit ich Wunderdinge gehört hatte. Weit auf riß ich meine Augen, als ich im offenen Wagen von Nußdorf nach dem Südbahnhofe fuhr, denn in Wien allein zu bleiben, dazu hatte ich keine Courage! Da kam gleich zu Anfang der Fahrt ein wolkenbruchähnliches Unwetter, der Wagen wurde ganz zugedeckt, und ich sah gar nichts! — Das war mir aber doch so bitter, daß ich später mit einer Vesque wieder zur Stadt fuhr, und die Ausstellung so genoß, daß ich nicht stunden-, sondern monatelang darin hätte studiren mögen. Dort sind die besten Biographien unserer Geistesheroen zu lesen in Bild und Schrift; es ist nur zu viel des Guten, so daß einem ganz schwindlig wird. — Und das reizende Altwien mit seinem Hanswurst-Theater und den urmusikalischen Schrammels und die Zigeunerbande! Ich begreife vollständig, daß die Wiener ihren letzten Kreuzer für das Alles ausgeben.
Hier ist es sehr schön, aber nur Thekla hat das Haus voll; die Moriz und die Regina klagen sehr. — Ich finde auch die geselligen Beziehungen für meine Schwägerin sehr angenehm. Gussow hilft ihr beim Malen, Linde's laden sie ein in ihr herrliches Besitzthum, Dr. Schmidtlein aus Berlin (der das Haus gekauft hat, welches Sie, liebe Frau Schumann, einmal in's Auge gefaßt hatten) kurirt sie, wenn sie unpäßlich ist — fo weiß ich sie nach allen Seiten hin geborgen. Sie aber fehlen uns, der ganzen Gegend! — Ich reise jetzt zu Herzogenberg nach Heiden, wohin er mich eingeladen hat. Meine Helene Hauptmann führt ihm die Wirthschaft. Wie er die je wird wieder fortlassen können, sehe ich nicht ein. Wer sie hat, ist geborgen, ist glücklich.
Bei der Enthüllung des Mendelssohn-Denkmals in Leipzig hätten Sie sein sollen, verehrteste Frau! Es war wundervoll; Joachim der Mittelpunkt des Festes, 42 Berliner bei Wachs. Wie sehr haben Sie uns gefehlt! — Gott erhalte Sie uns!
In Verehrung und warmer Liebe
Ihre Hedwig v. Holstein.
[Hedwig von Holstein, Eine Glückliche. Hedwig von Holstein in ihren Briefen und Tagebüchern, Leipzig 1901, S. 330-332]