Hochverehrte Frau!
Welche Freude, Ihre Handschrift zu sehen! Gott sei Dank, daß Sie wieder so weit sind Sommerpläne in die Ferne zu machen, obgleich sie für mich nicht allzu erfreulich sind, denn nach Interlaken komme ich nicht. Ich war oft mit meiner Mutter dort, ein köstlicher Aufenthalt! –
Nun aber zu Ihrer Anfrage. Frau Schneider war vor Jahren einmal bei uns, weil sie von mir Auskunft haben wollte, wieviel das Holsteinstift gekostet habe u zu unterhalten alljährlich koste; sie beabsichtige, eine gleiche Stiftung für Musikerinnen zu gründen. |2| Ich theilte ihr Alles mit, was meine 16jährige Erfahrung mich gelehrt hatte, verschwieg ihr aber nicht, daß die Erleichterung des Studiums der Musik immer mehr u mehr Musiktreibende hervorrufe, welche die edle Kunst nur als melkende Kuh benutzten, u daß ein wirkliches, ächtes Talent von Gottes Gnaden sich auch ohne alle Institute u Hülfsmittel durchbreche, u dann am siegreichsten. Seitdem hörte ich nichts wieder von der Dame, kenne auch Niemanden, der sie kennt, außer einem alten Raben, Hjalmar v. Dameck (jetzt Musikdirector in Barmen) der sie verehrte. Sie ist reich, eine geborne Russin, scheint etwas überschwenglich, aber voll ächtem Musik-Enthusiasmus.
Mit tausend Freuden werde ich mich um das Denkmal kümmern, wenn Sie mir, |3| geliebte Frau Schumann, das Zutrauen schenken. Ich stehe mitten unter bildenden Künstlern, kann die Besten um ihr Urtheil fragen u hatte ja auch das Glück Ihren Gemahl zu kennen. Er ist mir so gegenwärtig in seiner Erscheinung wie in seiner Musik. Für etwas Gutes einstehen kann ich freilich nicht, denn die Dame schreibt nicht, bei welchem Bildhauer sie das Werk bestellt hat, was mir anderseits auch sehr lieb ist, denn ich stehe Trebst zu nahe, so daß es mir eine ziemliche Verlegenheit gebracht hätte wenn ich den Meister hätte wählen sollen.
Beim Mendelssohn-Denkmal habe ich auch guten Rath geben müssen; natürlich gefällt es auch nicht allen Beschauern. –
Herzogenberg ist augenblicklich in Neapel mit seiner Tante Wüllersdorf. Er wollte auch |4| Helene Hptm. mitnehmen, aber die pflichttreue Seele blieb lieber bei ihrer alten Tante von Rohden in Rom, bis er sie in Heiden nothwendig braucht. Ich hoffe, er besucht mich dies Jahr auf meiner Schloßwies; ich war schon zwei Jahr bei ihm.
Wissen Sie denn, daß Ihr alter Schützling Heinrich van Eyken sich recht brav herausgemacht hat? Herzogenberg schätzt ihn geradezu als einen denkenden Musiker u guten Contrapunktisten; Eyken vertritt Herzogenberg zuweilen als Lehrer. Zwei seiner Brüder haben sehr vortheilhaft geheirathet, der Maler (der jüngste) hat ein großes Stipendium erhalten. Ob Ihre Uhr noch geht, ist eine andre Frage! Das war damals eine Freude, die ich Ihnen auch nie vergesse! –
Bis Mitte Juny können Sie hier am Ort über mich verfügen. Ich würde glücklich sein, wenn ich die Sache fördern dürfte.
In Verehrung
Hedwig v. Holstein
Leipzig 14 May 93.
|5| N. S.
Da Frau Schneider so eben in der Angelegenheit bei mir war, offne [sic] ich meinen Brief wieder, um noch Einiges beizufügen. Sie war in Baden-Baden so glücklich, 13 Lectionen von Ihnen zu erhalten, u trotzdem, daß Sie ihr alles Talent absprachen, liebt u verehrt die gute Seele Sie, wie es sich gehört. Sie hat 1876 im Gewandhaus ein Concert von Henselt gespielt, wurde 2 mal gerufen, u gut recensirt, <heir> (als Frl. Schmidt aus Petersburg) heirathete aber sehr bald darauf u verlor dann Mann u Kind.
Sie hat ihren Plan, Stipendien für Musikerinnen zu stiften noch nicht ganz aufgegeben, will ihn nur in andrer Weise ausführen. Sie freut sich sehr, daß ich das Glück habe, Sie zu kennen. Ich finde das Ganze sehr rührend u wir erwarten Ihre Befehle u die Bilder nach denen gearbeitet werden soll.
Ganz die Ihrige
H v H
Frau S. will ganz incognita bleiben, gestand es mir gar nicht ein, daß sie es selbst sei, sprach von einer 3‘ Person die den Plan habe.