Leipzig, den 14. April 1894.
Hochverehrte Frau!
In diesen Tagen habe ich einen so wunderbaren Fund gethan, daß es an Zauberei grenzt. Vielleicht können Sie mir zur Aufklärung verhelfen. Ich fand in einer Mappe mit Kunstblättern, die ich von meiner Schwester Seeburg geerbt hatte — die Originalzeichnung Bendemann's (mit seinem Monogramm) von dem so weltbekannten Portrait Robert Schumann's, welches seiner Zeit durch Lithographien vervielfältigt wurde. Es ist das mit der aufgestützten Hand und der Jahreszahl 1859. Nun haben wir ihn doch schon 1857 verloren, so viel ich weiß. Aber die Zeichnung ist so wundervoll, die Augen so tiefsinnig und ähnlich, daß es den Beschauer durchrieselt, der ihn gekannt hat; vielleicht hat es Bendemann wiederholt. Die Hand ist gar nicht ausgeführt, auch ziemlich unförmlich.
Erinnern Sie sich, wie und wann es war, als Bendemann Ihren Gemahl zeichnete? — daß meine Schwester diesen Schatz mir nicht gezeigt hat, ist auch unbegreislich. Ich ließ die Zeichnung sogleich in einen sogenannten „Passepartout" legen, wo sie vor jeder Berührung durch Vertiefung geschützt ist, auch das Glas berührt sie nicht. Jedenfalls gebe ich sie jetzt einmal dem Bildhauer Stein.
Nach meinem Tode soll Fräulein Marie Schumann sie haben, oder würde sie Frl. Eugenie noch mehr Freude machen? Oder haben Sie vielleicht das Original? Inzwischen ist in unserer Freundschaft wieder eine schmerzliche Lücke entstanden durch den Tod. Der herrliche Spitta starb gestern an Lisl Herzogenberg's Geburtstag, — für den armen Freund ein großer Verlust. Herzogenberg kommt nun vielleicht an Spitta's Stelle? — Besuchen Sie doch den guten Heinrich nächsten Sommer in Heiden. Es wird Ihnen gefallen, und welche Freude bereiten Sie ihm! Es muß doch recht schön sein und auch bequem, so mit der Gegenwart allein überall zu erfreuen. Die dies können, sind wie Götter unter den Menschen. Wir armen Sterblichen müssen uns brav quälen, wenn wir geliebt werden wollen — aber das active Schwärmen ist vielleicht angenehmer, als das passive Angeschwärmtwerden. Nun Jedem das Seine!
In alter Verehrung
Ihre Hedwig v. Holstein.
[Hedwig von Holstein, Eine Glückliche. Hedwig von Holstein in ihren Briefen und Tagebüchern, Leipzig 1901, S. 333-335]
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