23.01.2024

Briefe



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ID: 18724
Geschrieben am: Freitag 07.01.1859
 

Hochgeehrte Frau!
Der Brief unserer Freundin Rettich war so gestellt, daß ich glauben mußte, Sie wären hier völlig fremd, würden längere Zeit verweilen, und es sey mir gegönnt, nach meinen schwachen Kräften, dem Vertrauen welches Frau Julie in mich gesetzt, zu entsprechen. Deshalb meine fast zudringliche Erscheinung bei Ihrer jugendlichen Tochter, die über meinen grauen Bart wohl erschrocken ist. Ich wollte heute mein Glück noch |2| einmal an Ihrer Thür versuchen, – obschon ich gestern erfuhr, daß Sie von Kunstfreunden umgeben und in hiesigen Familien schon heimisch, sich mehr nach einer ruhigen Stunde, als nach störenden Besuchen sehnen müssen. Die heftige Kälte, in die ich mich nicht wagen darf, rettet Sie heute vor mir. Sonst hätte ich dem Anreize doch nicht widerstanden, Ihnen mein Entzücken mit gesprochenen Worten kund zu machen. Orpheus zähmte die Bestien; |3| das ist nichts! Sie haben einen, sich vor Klavierkonzerten flüchtenden alten Mann dahin gebracht, mit Thränen im Auge, Ihrem Spiele zu lauschen bis auf den letzten Ton. Die wunderbare geistige Klarheit dieses Vortrags gränzt an’s Zauberhafte; und im Verein mit so vollendeter Meisterschaft in der Form, bringt sie eine Wirkung auf die Seele hervor, die ich bisher nicht geahnet habe. Ich bedaure nur, daß ich nicht musikalisch gebildet bin, um meinen Gefühlen den passenden Ausdruck zu leihen; sonst wollte ich einen Aufsatz über Sie schreiben, |4| der jeden Leser begeistern müßte. Gott gebe, daß es unsere Herren Journalisten am richtigen Zipfel erfassen! An Lobe freilich wird es nicht mangeln, – aber du mein Gott, was kann Ihnen daran liegen?
Mit Betrübniß hörte ich von Seiler’s, daß Sie schon Montag reisen wollen, daß Sie nur noch ein Konzert geben. Ich hatte so hübsche Pläne im Sinn.
Dennoch hoffe ich Sie vor Ihrer Abreise noch zu sehen und will morgen anklopfen.
In aufrichtiger Verehrung
einer Ihrer wärmsten
Bewunderer C v Holtei
Freitag.

  Absender: Holtei, Karl von (735)
  Absendeort: Graz
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Graz
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
585f.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,262
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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