23.01.2024

Briefe



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ID: 18726
Geschrieben am: Mittwoch 26.01.1859
 

Ihr Brief, meine hochverehrte Freundin, hat großen Jubel in unserm Hause erregt. Mein Schwiegersohn giebt ihn nicht mehr heraus. Der jüngste Junge (der Polka-Komponist) hat das Kouvert wegstipitzt; und Wilhelm, der Zweite, steht jetzt im Handel mit ihm „um einige Buchstaben von Ihrer Hand!“ Er will für jeden 10 Neukreuzer zahlen. Heinrich ist noch nicht entschlossen, ob er ihm das „Gratz“ von der Adresse ablassen soll? Das klingt verrückt; ist aber eben so wahr, als natürlich: Wie die Alten sungen, zwitscherten die Jungen, heißt’s im Sprichwort. Der Schumann-Kultus hat den höchsten Grad erreicht. Peppi stiehlt seinem Amte u. seiner Advokatur jede Minute ab, die sich stehlen läßt, um Kinderscenen zu üben. Neulich spielte er das „Greulich machen“ – da kam die kleine Resi, die noch nicht ordentlich reden kann, dazu u. stammelte auf ihre Weise: „Das hat die Frau gespielt, aber der Vater kann’s noch nicht recht!“
Ihr Bild klebt nicht allein in meinem Album; es hängt auch an unsern (und Schönfelds) Wänden, es lebt auch in unsern Herzen; und es wird in dem meinigen |2| fortleben, bis das Herz selber bricht. Wenn ich mich frage, wodurch meine Verehrung für Sie denn eigentlich diesen schwärmerischen Schwung erreicht hat, so bleib’ ich zuletzt bei der Ueberzeugung stehen: es ist nicht allein Ihr musikalischer Genius (denn was versteh’ ich im Grunde davon?) der mich ergriff; es ist eben so sehr Ihre großartige und erhabene Geringschätzung all’ des Jammers, der leider so vielen Künstlern zur Hauptsache wird; die göttliche Verachtung des Publikums, jener blödsinnigen Masse, welche ja niemals weiß, was <es>sie will; die fast krankhafte Scheu vor der Oeffentlichkeit, der Sie ach! so gern entfliehen möchten, in welche Sie Pflichtgefühl u. Muttertreue wieder hinaus zwingen. Und wenn Sie, fast widerstrebend, mit Ihren himmlischen Gaben vor irdischen Hörern erscheinen; wenn Sie, verletzt vom rohen Beifall, wie man ihn daneben auch dem Verkehrten, dem Gemeinen spendet, dann doch wieder von der Macht des Schönen ergriffen, das Höchste erstreben, was Gott durch Sie verkünden läßt, – dann erscheinen Sie den Wenigen die da |3| wissen, oder auch nur ahnen, was in Ihnen vorgeht, so <> hoch und hehr, daß auch ein allerdings überschwängliches Gedicht, gleich den Pichler’schen, gerechtfertigt ist. Ich freilich vermöchte keine Verse an Sie zu richten. Auch die besten die ich etwa zu Stande brächte, würde ich immer noch besorgen, meine Empfindungen und Ihren Wert zu entweihen. Hole der Teufel das Virtuosenthum! Nur wo es durch eine solche vornehme, stolze, zarte, menschlich-edle Persönlichkeit beherrscht, dieser in Allem den Vorrang lässt, nur da kann es sich der Seelen bemächtigen, die wirklich Seelen sind. Wer Sie eine Virtuosin nennt, blasphemirt; und ich lobe unsern Wilhelm, der sie als k. k. Kammer-Jungfer anmeldete.
Von uns hab’ ich zu melden, daß wir, Jeder u. Jede, unseren Strang fort ziehen, was man „leben“ nennt. Peppi in seinen Rangeleien, Marie in der Wirthschaft, die Kinder in ihren Schulen, ich an meinem Schreibtisch. Ich bin körperlich recht unwohl u. verbringe viele schlaflose Nächte. Vorgestern war mein Geburtstag. Da haben Weinhold’s u. Profess. Schmidt |4| ein von Weinhold verfaßtes Gelegenheitsstück vor kleinem Kreise sehr wirksam dargestellt. Es wurde viel gelacht – und auch ein Bischen geweint. Bei Schönfelds war ich gestern Abend, und da ich Ihr Schreiben erst heute empfing, haben Jene es noch nicht gelesen. Morgen soll Peppi es auf eine Stunde herausgeben, damit ich es in die Elisabethstraße trage.
Ich schreibe jetzt, spät Abends, in höchster Eil’, – um eben nur geschrieben zu haben. Denn dieser Tage würde ich nicht mehr dazu kommen, weil ein Stoß abzurobottender Geburtstagsbriefe vor mir liegt. Das ist immer eine wahre Marter – und doch muß man dankbar seyn, für liebevolle Erinnerungen aus der Ferne.
Also: Nächstens mehr! So wie ich wieder ein Bissel Luft habe.
Behalten Sie uns lieb. Wir grüßen Sie im neunstimmigen Choral und auch „das Wurm!“
Ihr treuergebener
Holtei
Gr. 26 Jan. 59.

  Absender: Holtei, Karl von (735)
  Absendeort: Graz
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
591ff

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,265
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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