23.01.2024

Briefe



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ID: 18727
Geschrieben am: Donnerstag 19.01.1860
 

Graez in Steiermark 19ten Jan. 60.
Ihr liebes Schreiben vom 5ten hochverehrte Freundin,1 traf mich krank. Es ist bei mir schon immer dafür gesorgt, daß ich ja nicht übermüthig werde! Theils bettlägerig, theils im Zimmer umher kriechend, mir und Andern zur Last, schlepp’ ich mich als wandelnde Nervengicht mit wechselnden Grippen geziert langsam fort. Morgen hat mir der Arzt erlaubt, im hermetisch verschlossenen Wagen zur guten Baronin Prokesch2 zu fahren, die ich schon einigemale plantiren3 mußte. Diese jämmerlichen Zustände sind Schuld, daß ich Ihr in unserem Hause mit Jubel aufgenommenes Lebenszeichen erst heute erwiedere. Ihre Einlage an Herrn E.4 habe ich fünf Minuten nachdem sie in meine Hände ge-|2|langt war, befördert. Seitdem Sie hier spielten, erweiset Herr E.5 mir nicht mehr die Ehre mich bei etwaigen Begegnungen anzureden, worüber ich mich tröste. Aber ich vermag deshalb auch nicht zu sagen, ob Er das Gerücht Ihrer Hierherkunft verbreitet habe? Daß es kursirte ist gewiss. Ober Fin. Rath Seiler6 rief mir vor etwa sechs Wochen zu: „die Schumann kommt, mit Joachim.7 Das wäre für Graez eine falsche Spekulation: hohes Entreegeld erschwingen wir nicht, und zu gewöhnlichen Preisen bliebe Jedem von Beiden zu wenig!“ Diese Ansicht mußte ich theilen. Und ich freue mich, in Ihrem Schreiben keine Andeutung solcher Kompagnieschaft zu finden. Sie allein werden nicht nur |3| allwillkommen seyn; Sie werden auch (fürchterliches Wort:) gute Geschäfte machen. Nur hübsch bei Zeiten muss man’s vorher wissen, damit Ihre Getreuen davon sprechen und schreiben können! Bei uns geht’s seinen Gang. Die Kinder8 wachsen zu Rüpeln und flegeljährigen Mädeln heran; die Aeltern arbeiten von früh in die Nacht; der Großvater9 geht in’s „hohe Alter“ über und verdummt ein Bissel. Aber Alle lieben Sie und denken Ihrer mit dankbarer Treue. Schönfeld’s freuen sich an ihrer kleinen Rosalie;10 Luise11 ist gut und liebenswürdig wie immer; der Graf12 kränkelt wieder viel. Alle übrigen Freunde sind auch die alten geblieben. Sie müssen sich, „innerlich kummervoll abhetzen u. abquälen!“13 O Theuerste, wem sagen Sie das! Ich kenne diese wilde Jagd. Man wähnt |4| das Glück, oder doch dessen Schatten, zu verfolgen, man rennt ihm mit wunden Füßen nach – und plötzlich entdeckt man, daß man nicht jagt, daß man eigentlich gejagt wird! Von wem? Vom Erbfluche: „im Schweiße Deines Angesichtes sollst Du Dein Brodt essen.“14 Still davon! Empfehlen Sie mich Ihrem Fräulein Tochter15 (beileibe nicht dem Wurm!) und sagen Sie <> ihr: meine Tochter,16 mein Schwiegersohn,17 die Kinderschaar, die Freunde zappeln darauf, Euch ihren Gruß entgegen zu schreien. Besonders aber der alte, blinde, hustende, gichtbrüchige, zerstreute, verdrehte, elendige, miserablige, doch
aufrichtige Freund
C v Holtei

  Absender: Holtei, Karl von (735)
  Absendeort: Graz
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
594f.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,1
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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