Verehrte Freundin!
Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihre lieben Zeilen und die gehabte Mühe in meiner Angelegenheit. Ich hätte allerdings nicht vergessen sollen, Ihnen mitzutheilen, daß mein hochverehrter Freund H. seit beiläufig 5 Jahren einen Text von mir in Händen hat, den er mit trotz dessen Nichtbenutzung bis dato nicht zurückgab. Um so naiver berührte mich die freundliche Zudringlichkeit, womit er mir, sofort nach Ihrer Mittheilung, in einem kurzen Liebesbrief, das gütige Verlangen ausspricht, auch meinen neuen Text ebenso ad acta zu nehmen. Das wunderbare Zusammentreffen, daß er vor einigen Wochen gerade eben „einen Dichterfreund“ aufgefordert habe, ihm auf „Amor u. Psyche“ einen Text zu schreiben, beweist eine solche Sympathie unserer Geister, daß sie allerdings etwas unheimlich ins Unglaubliche spielt. Ich finde das weder für seinen Dichterfreund noch für mich sehr verbindlich, und ich habe mich vorläufig darauf beschränkt, ihm gar nicht zu antworten, was er wohl verstehen wird. Wenn er Ihnen gesagt hat, daß er bereits mit einer Composition vorangegangen, so stimmt das wenigstens nicht zu dem, was er mir schreibt u. klingt sehr danach, mich in seine Gewalt zu bekommen, wozu ich nach dem mit ihm Erlebten keine Lust empfinde. Ich halte H. für einen sehr weltklugen Mann und recht geschickten Musiker, aber für nichts weniger, als einen Poëten! Uebrigens kann ich nichts dagegen haben, wenn er sich von seinem Dichterfreund einen beliebigen Text machen läßt und ihn komponirt, das werde ich ruhig abwarten. Ueberdieß bin ich nicht so stürmisch, um die Sache nicht ruhig angehen zu lassen, u. mache vielleicht gelegentlich von Ihrer Adresse an M. Br. Gebrauch. Rietz hat eben ein Paar Verse von mir zum Tieckfeste componirt, (Männerquartett) u. wenn er sich von seiner Krankheit wieder erholt hat u. Lust dafür zeigt, habe ich immer noch so viel für ihn übrig, wie für die Anderen u. das sogar voraus, daß ich ihn kenne u. mit ihm reden kann. Brahms erwähnen Sie nicht, er ist wohl überhaupt unzugänglich? Jedenfalls will ich mich nach keiner Seite hin, binden, wenn ich auch gern über die einschlagenden Persönlichkeiten einigermaßen orientirt zu sein wünschte. Eine Indiskretion von meiner Seite haben Sie, verehrte Freundin, nicht zu fürchten. H. gegenüber können Sie ja in vollständiger Unkenntniß seiner Billets an mich verharren.
Fanny hat bereits ihr kleines Sommerlogis in Loschwitz bezogen u ist trotz mangelhaften Wetters, doch ganz zufrieden. Meine Frau u. ich besuchen sie häufig, heute erwarten wir auch meinen Sohn Franz. Wir alle grüßen Sie Alle aufs herzlichste u. bin ich mit wiederholtem herzlichen Danke immer
Ihr
treuergebener alter Freund
Julius Hübner
Dr. 22. Mai 73.
|