Liebe, verehrte Freundin
Heute oder morgen soll Johannes hier durchkommen, wie ich (leider durch Jaell) erfuhr, der bis zum 29ten hier bleibt um im 2ten Concert doch noch zu spielen – hoffentlich hält sich der liebe Johannes wenigstens etwas auf, geschrieben hat er mir nichts. Wir haben uns viel zu sagen, Joh. u. Jos., es wäre Zeit daß wir uns nicht bloß wenn wir von einander entfernt sind gut vertragen.
In meiner neuen Wohnung ist ein Stutz-Irmler angekommen der auf Sie und Ihre lieben Fingergeister wartet; ich rechne auf mehrere Tage Ihres Besuchs. Von Liszt, und von anderen Erlebnissen habe ich Ihnen, liebe, theilnehmende Freundin manches zu sagen. Lange ist mir nicht so bittere Täuschung geworden wie durch Liszts Compositionen; ich mußte mir gestehen daß ein gemeinerer Mißbrauch heiliger Formen, eine eklere Coquetterie mit den erhabensten Empfindungen zu Gunsten des Effektes nie versucht worden war – die Stimmungen der Verzweiflung, die Regungen der Reue mit denen der wirklich fromme Mensch einsam zu Gott flüchtet kramt L. mit der süßlichsten Sentimentalität vermischt und einer Märtyrer-Miene am Dirigir-Pult aus, daß man die Lüge jeder Note anhört, jeder Bewegung ansieht. Meyerbeer, Wagner das Krankhafte der Chopin’schen Muse nicht sein stolzes Nationalität-Bewußtsein, seine liebliche Zartheit, Berlioz, alles ist wie auf einer Musterkarte da, nicht in der Unordnung eines zu reichen Inhaltes. Nie werde ich Liszt wieder sehen können – ich müßte ihm dann sagen wollen daß ich in ihm plötzlich statt eines verirrten, zu Gott zurückstrebenden mächtigen Geistes einen schlauen Effekthascher, der sich verrechnet, erkannt habe. Sie hatten Recht, liebe Frau Schumann, so oft wir uns um sein Wesen stritten. Für die nicht gehörte Bdur Sonate müssen Sie mich hier entschädigen. Wollen Sie das? In den nächsten Tagen kommt von mir noch ein Brief mit unzähligen ähnlichen ? ? ? ? ?
Unveränderlich
der veränderliche
J. J.
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