23.01.2024

Briefe



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ID: 18786
Geschrieben am: Mittwoch 04.02.1857
 

Montag.

Liebe Frau Schumann!

Vor allen Dingen als Zeichen meiner Wiederkehr aus der freien Stadt das beifolgende Päckchen Mandelkleie, dessen süßer Duft und geschmeidig Wesen Ihnen ein Gruß sein mag von der, die es besorgt hat: Joh.’s Schwester. Ich habe die Brahmanen-Familie in der Lilien- Straße gestern wohl und erfreut über Jhannes [sic] Schreiben verlassen: die lieben Menschen waren gütig und liebenswürdig gegen mich wie immer. Ottens Concert fiel im Ganzen gut aus; leider ward die Hermann u. Dorotheen- Ouvre nicht gespielt: ich glaube, sie ist zu zart für die materiellen Hanseaten, und Otten zog es vor, seine Leute mit dem bekannten Schreckschuß der Oberon-Ouv. Bei den Ohren zu kriegen, wie er mich denn auch von Bach zu Paganini persuadirte. Außerdem brachte der erste Theil die Hebriden-Ouverture, deren Wohlklang und harmonische Feinheiten durch die mittelmäßige Aufführung nicht verwischt werden konnten, einen ziemlich veralteten Frauen- Chor von Hasse, auch einen nur selten Schubert’schen Schuberts, und das E moll Concert von Spohr, in dem einige wirkliche, wenn auch Spohrsche Schönheiten enthalten sind. Der 2te Teil ward durch die C dur Sinfonie von Schumann ausgefüllt, die mich tief ergriff, obgleich mich die Tempi zu vollkommen ungestörter Hingabe nicht kommen ließen. Wie erhaben feierlich ist doch der Anfang, wie voll treibender Kraft das Allegro! Wie reich das Scherzo mit dem schönen Kontrast sprudelnder Frische und zarter bis zur Religiosität miterhebender Innigkeit. Und das Adagio, eine<s> der tiefsten Empfindungen, die je in einem Menschenherzen zu Tönen anschwellten. Wie mußt ich Dank erfüllt des Mannes denken, den ich in meinen besten Stunden Freund nennen durfte -- und der mich auch an diesem Abend wieder durch seines bleibenden Geistes Reichthum über die Trauer hinweg heben sollte, dank der drängenden Fülle des <> Schlußsatzes mit der nimmerrastenden Kraft. Wie freu ich mich auf die Aufführung, die wir hier im Laufe der nächsten Wochen von der Sinfonie geben wollen, und die Sie hoffentlich mit herführen soll. Im nächsten Concert, Sonnabend, spielen wir die Genoveva-Ouvert., hier zum ersten mal. Außerdem die 2te Beethoven’sche und Egmont-Ouvert., beides vom Großfürst Constantin erbeten, der für Beethoven schwärmt. Er hat mir überhaupt einen edlen Eindruck gemacht. Kennen Sie ihn? - Die Herm. u. Dorotheen-Ouverture aus Händen zu geben, ohne sie gehört zu haben, war mir sehr verdrießlich; aber ich kann die Handwerker hier nicht um eine Gnade bitten, wo sie lieben sollten. Die Zeilen müßen zur Post; ich schreibe bald weiter; ich sag nicht wann, um's bald zu thun.
Einstweilen getreu ergeben
Joseph J.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort: o. O.
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
315-318

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,250
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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