Liebe, verehrte Freundin!
Mit großem Bedauern habe ich darauf verzichtet Sie in Frankfurt auf der Durchreise zu begrüßen. Mir hatte Ladenburg zuerst gesagt, Sie seien noch nicht zurück, und nachher als ich gesagt kriegte Sie seien in Heerm. und Mühlens Concert gewesen, war’s zu spät geworden. Wie schade!; so gern hätte ich mich selbst von Ihrem Wohlsein nach dem fatalen Begräbniß in Berlin überzeugt. Ist alles wieder gut? Dem Entzücken nach, mit welchem u. A. Rudorff und Frau Enole M. über Ihr Spiel berichten, haben Ihre Kräfte keinen Schaden erlitten, aber es wäre mir doch sehr lieb wenn Sie nur ein Wort über Ihr Befinden schrieben. Auch meine Geschwister und alle Freunde<n> fragen wie es Ihnen nun geht; all<s> denk<t>en Ihrer in Verehrung. Heute spiele ich nun wieder einmal zum „1ten Mal“ im Pop. und zwar <ein> ⎡das E moll⎤ 4tett v. Beethoven und mit Miss Krebs Spohr’s E moll Trio. Kennen Sie es? Das Scherzo ist geradezu reizend, aber auch die andern Sätze enthalten manche melodische und harmonische Wendung an der man sich herzlich erfreuen kann. Es stammt noch aus der Zeit, wo’s den Componisten beim Schreiben warm im Gemüth sang, und wenn’s da auch manchmal an Großartigkeit und Neuheit fehlt, so kriegt man ein ungeschminktes Bild von der Persönlichkeit, über deren Beschaffenheit keine frappanten Wendungen ⎡und Charakter-Rennomagen⎤ täuschen können, so oft es auch heutztag versucht wird. – Diese Woche ist voll Concerte: in Liverpool, Edinburg, Newcastle, Camberwell und Saturday Pop.! Also nur noch herzlicher Grüße den lieben Ihrigen. Von mir ist nichts als eine neue Vertagung auf den 22ten März (aus Berlin telegraphisch gemeldet) zu sagen.
In Treue ergeben
Joseph Joachim
London, d. 26. Febr.
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