Liebe, hochverehrte Freundin!
Wie so gerne wüßte ich wie es Ihnen gesundheitlich geht! Hat Ihnen Baden recht gut gethan? Es ist mir gar zu schmerzlich nun auch in Bonn auf Sie zu verzichten, nach dem wir Sie schon in England entbehren mußten. Meine Hauptfreude ist nun dahin; möchte ich <nun> doch vorher wenigstens hören, daß es Ihnen wieder besser zu Muthe ist! Ich habe nun wenigstens seit dem 25ten, wo ich zuletzt oeffentlich spielte, etwas mehr Muße und das große Vergnügen meine Marie auf einige Wochen bei mir zu sehen, die aber nach Bonn nicht mehr mit kommt, da sie in Salzburg erwartet wird. Wohl aber wird Josepha, aus Düsseldorf kommend, mit mir bei Ebbinghaus wohnen, wo auch Piatti Quartier nimmt. Die beiden Mädchen entwickeln sich recht erfreulich. Marien’s Gesang schreitet sehr schön voran, die Stimme klingt voll und weich, und musikalisch rein und unverdorben ist der Vortrag auch; größere Freiheit wird ja hoffentlich mit den Jahren noch kommen. Daß sie für Wagner’sche Partien schwärmt (sie hat schon vier singen müssen!) muß ich mit in den Kauf nehmen! Ich wollte nur, daß sie Zeit hätte mehr Lieder zu singen, wozu sie bei dem vielen Rollenstudium leider nicht kommt; es wäre das beste Gegengift! – Was denken Sie denn diesen Sommer vorzunehmen? Ich hoffe es zu erfahren sobald Sie etwas darüber entschieden haben, um meine Sommerpläne so einzurichten Sie aufsuchen zu können. Haben Sie Pfingsten einen Ausflug vor? Ich muß am 26ten Mai in Weimar spielen, und erübrige dann wohl noch einen oder zwei Tage, wenn Sie in der Nähe von Frankfurt sind, und mich brauchen können. Sie und die lieben Kinder alle von Herzen grüßend
Joseph Joachim
Bendler Straße, 17. den 1ten Mai.
Marie Benecke ist auf eine Woche hier.
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