23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 18866
Geschrieben am: Samstag 02.07.1881
 

Wien IX Hörlgasse 3;
d. 2. Juli 81.

Hochgeehrte Frau!
Ihr freundlicher Brief1 ist meinen Absichten zuvorgekommen. Ich wollte dieser Tage bei Ihnen anfragen, ob Ihnen mein Besuch erwünscht wäre, und in diesem Fall am 11. nach Frankfurt reisen.2 Eher konnte ich keinen Urlaub <erhalten> nehmen, da gerade jetzt die Schlußconcurse am Conservatorium stattfinden, bei welchen ich als Juror fungire. Ich hätte längst von mir hören lassen, wäre ich nicht von Berufsarbeiten und Privatangelegenheiten gar |2| so sehr in Anspruch genommen worden. Außerdem habe ich immer auf die mir versprochenen Auszüge Ihres Briefwechsels gewartet, da ich, bevor ich wieder zu Ihnen reiste, genau über alle Details meiner Arbeit unterrichtet sein wollte, um die kurze und kostbare
Zeit möglichst reich auszunutzen. Die Arbeit schläft keineswegs; schon im Winter habe ich mit Zettelexcerpten begonnen, und beschäftige mich fast täglich zwei Stunden mit den Manuscripten.
Im verflossenen Halbjahr ist es mir ziemlich übel ergangen. Seit dem Oktober bis Mitte Juni hinein mußte ich Abend für Abend Musik hören. Die Reorganisation der Oper brachte |3| eine Fülle von Gastspielen mit sich, und gerade der Notizen-Nachtdienst (gleich nach der Aufführung muß immer eine kurze kräftige Kritik geschrieben werden) ist ein sehr anstrengender. Dazu kam noch eine italienische Stagione, die mich vollends lahm gelegt hat. Seit dem März habe ich in Folge dieser außergewöhnlichen Anstrengungen fortwährend an halbseitigem Kopfschmerz gelitten, und erst die schönen Sommertage habe ich mich von diesem peinigenden Uebel befreit. Jede geschriebene Zeile that mir weh, und ich habe allen brieflichen Verkehr aufgeben müssen.
Denken Sie also nicht übel von mir und zweifeln Sie nicht daran, daß mir unsere Angelegenheit ebenso am Herzen liegt wie zuvor! |4| Bis zum nächsten Frühjahr hoffe ich Alles zum Abschluß gebracht zu haben, so daß das Buch im Herbst 82 auf den Markt gelangen könnte. Ein solches Werk, das Anspruch auf dauernden Werth haben soll, rückt langsamer vorwärts als irgend eine freie literarische Production. Seinetwegen ist meine lyrische Muse bis auf Weiteres von mir verabschiedet worden, und die Gute möchte so gern manchmal ein Wort dreinreden.
Sagen Sie mir, ob ich Sie am 12 od. 13. noch in Frankfurt antreffe, und bleiben Sie,
hochverehrte Frau,
freundlich gewogen
Ihrem
ganz ergebenen
Max Kalbeck

  Absender: Kalbeck, Max (785)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
635ff

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 4,121
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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