Berlin d 30t Novbr 72
Geliebte verehrte Frau!
Nur ganz flüchtig einen Herzensgruß u die freudigen Worte: daß wir gestern Abend das Requiem Ihres Freundes H Brahms gehört u es mit wachsender Begeisterung genossen, u in manchen Parthien durch Erhebung hingerissen wurden. Das Publicum schien sehr innerlich betheiligt, u ich hoffe sein Glück ist auch hier bei dem kaltblüthigem u kritischen Publicum gemacht u ich freue mich gratuliren zu können. Ich will diese Freude sogleich aussprechen noch ehe die vielleicht neidischen Blätter mir die Freude verderben, ich adressire sie an die liebe Freundin weil ich weiß daß sie bei Ihnen reflectiren muß u daß es Sie erhebt wenn Sie das Gute anerkannt wissen. So weit ich auch davon entfernt bin meinem Urtheil ein Gewicht beizulegen, so bin ich immerhin ein Stück Publicum das Empfindung hat für gute Musik, u habe einen Kritiker meinen Philosophen neben mir gehabt der mir zuweilen mit nassem Auge zugenickt. Daß Sie zum Januar kommen ist eine rechte Herzensfreude für mich, wenn ich doch ein Haus hätte um Sie würdig darin aufzunehmen u es Ihnen darin wohlig zu machen. Grußen [sic] u küssen sie die geliebten Kinder, u seien Sie herzlich umarmt von Ihrer getreuen
Sarah Lazarus
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