Pontresina d 24t Aug. 86
Meine hochverehrte, theure Freundin!
Es gereicht mir zum Vergnügen, Ihrer gütigen Theilnahme für mein Befinden mit einiger Nachricht über dasselbe entgegnen zu können. Von Hause u speciell von meiner Frau dauernd mit wenigstens erträglichen Nachrichten, u wenigstens von ihrer eigenen Hand, versehen, habe ich mit meinem Schwager Steinthal die nun bald zu Ende gehenden Wochen hier sehr erquickend u auffrischend verlebt. Zumal für Einen, der es sonst so häufig genossen u nun so lange entbehrt hat, macht sich der Einfluß der Hochalpenluft, welche nur in diesem Jahre eine zu geringe Milderung durch Sonnenwärme gezeigt hat, doch auf eine sehr energische u unmittelbar wohlthuende Weise geltend. Da ich nun auch dem ärztlichen und freundschaftlichen Rathe treulich gefolgt u so wenig, wie ein an geistige Luftnahrung gewöhnter nur immer vermag, gearbeitet habe, glaube ich auf eine dauernde Stärkung meiner Nerven rechnen zu dürfen. Es hat mich zu hören herzlich gefreut, dass auch Sie, theure Freundin! von dem Aufenthalt in Franzensbad eine befriedigende Heilwirkung erfahren, und ich wünsche von ganzem Gemüth, dass Obersalzberg eine gedeihliche Fortsetzung geboten haben möge. Obgleich ich nach meinen ersten 50 Jahren wohl ein Dutzend in voller Frische verlebt habe, kann ich doch leider jetzt auch mit Ihnen sagen: „auf gänzliches Wohlbefinden muß man in unserem Alter verzichten.“ Dass der Verzicht nicht leicht wird, fühle ich, nicht blos wegen der Peinlichkeit derselben in Bezug auf meine Frau, sondern sehr stark auch wegen der mancherlei Aufgaben, welche im Leben noch zu lösen, mir als Pflicht u Wunsch zugleich vorschweben. – Indessen müssen wir uns fügen u – hoffen; ist doch Hoffnung ein Ingrediens, welches jeder Medicin ein gut Theil ihrer Heilkraft sichert. Ich grüße Sie und Ihre lieben Kinder herzlich, und bin in alter Treue u Innigkeit
Ihr Verehrer
Lazarus
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