23.01.2024

Briefe



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ID: 18984
Geschrieben am: Freitag 29.09.1893
 

Berlin, Königsplatz 5 d 29/9 93
Verehrte, liebe Freundin!
Vor Allem lassen Sie mich Ihnen mit zwei Worten sagen: hätten Sie geschrieben, dass eine heitere Gesellschaft oder sonst ein erfreuliches Vorkommniß Sie meinen Geburtstag hätte vergessen lassen: wir hätten uns dessen herzlich gefreut u es Ihnen im geringsten nicht übel genommen. Schmerzlich berührt hat uns nur, dass Sie, theure Freundin, in jenen Tagen so leidend waren. Gewiß ist uns beiden Ihre seit so vielen Jahren zutraulich am 15t abgestattete Gratulation immer eine lebhafte Freude, als ein Zeichen Ihres Wohlbefindens und Ihrer freundschaftlichen Treue. Bleibt es aus, dann kann von einem Uebelnehmen bei uns ebenso wenig die Rede sein, wie von einem auch nur leisen Zweifel in die Ausdauer Ihrer Freundschaft. Denn was wir beide seit so lange und so lebhaft für Sie empfinden, könnte ohne Gegenseitigkeit nicht bestehen u wir glauben stets das Echo in Ihrem edlen Herzen zu hören, auch wenn es in Worten zu ertönen irgend wodurch verhindert ist. Von Herzen wünschen wir, dass Sie auf Ihrer Heimreise in Baden auch volle Genesung gefunden haben mögen, um erfrischt und kraftgerüstet in die Winterthätigkeit einzutreten.
Von uns ist viel Gutes leider nicht zu melden. Vergebens haben Sie, liebe Freundin, uns in Gedanken in Schönefeld gesucht; meine arme Frau musste sich die obgleich kurze Reise, welche sie schon im vorigen Jahre sehr angegriffen, versagen; und weil wir auf diesen lieben Landaufenthalt doch niemal [sic] verzichten mußten, so habe ich aus der Noth eine Tugend gemacht u diesen Sommer an der Universität meine Vorlesungen wieder gehalten, die ich letzten Winter krankheitshalber aussetzen mußte. Sie merken schon, wie groß leider die Rolle ist, welche der Mangel an Gesundheit im letzten Jahre bei uns gespielt hat u ich glaube, mir versagen zu müssen, auf die Details näher einzugehen. Indessen danke ich Gott, dass wir beide noch am Leben sind, auf welches die Natur je älter man wird, immer neue Angriffe bringt. Im Frühjahr hatten wir auch um meinen Schwager Prof. Steinthal schwere Sorge, welche sich mit seiner langsamen Genesung gelöst, so das er denn seinen 70t Geburtstag höchst ehrenvoll feiern lassen konnte. Nachdem ich einige Wochen Erholung (mit Steinthals zusammen) im Schwarzwald gesucht u auch gefunden, hatte ich gewünscht, Sie u Ihre lieben Kinder, die wir beide herzlich grüßen, in Frankf. zu sehen; mußte aber vernehmen, dass Sie noch fern sind. Meine Frau, obgleich vom Asthma leider recht angegriffen, will sichs nicht versagen, Ihnen selbst einen Gruß zu schreiben; ich räume ihr also den Platz u verbleibe mit einem freundschaftlichen innigen Händedruck Ihr
stetig ergebener Lazarus

  Absender: Lazarus, Moritz (916)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 18
Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1856 bis 1896 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-055-1
342f.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 6,178
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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