23.01.2024

Briefe



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ID: 19054
Geschrieben am: Freitag 08.03.1861
 

Wien 8. März 1861

Meine hochverehrte Gönnerin und Freundin!
Ich habe wohl nicht erst viele Worte zu verlieren über die Freude, die mir Ihre Zeilen bereiteten, wir wissen ja wohl, wie wir mit einander stehen und haben das Glück, aufrichtige Naturen zu sein.
Wir sind als Freunde zusammengehalten durch weit festere Bande, als sie irgend ein menschliches Verhältniß knüpfen kann, denn unsre Heimath ist die Welt des Schönen. Sie haben mich gewürdigt der näheren Bekanntschaft Ihres Freundes Joachim, indem Sie selbe durch Ihre lieben Zeilen eingeleitet haben.
|2| Was soll ich Ihnen sagen von dem großen, überwältigenden Eindruck, den er auf das Publikum und auf mich hervorgebracht. Sie haben mir viel von ihm versprochen, aber alle Erwartungen wurden weitaus übertroffen, und ich müßte ein Dichter sein, um Ihnen nur einiger maßen sagen zu können, wie allgewaltig diese Erscheinung auf mich und ganz Wien gewirkt hat. Ich dachte viel über seine künstlerischen Eigenschaften nach, stellte sie zusammen, machte mir seine ganze künstlerische Erscheinung klar, und wenn ich sage, er hat mich mit Staunen und Bewunderung erfüllt, so ist damit eigentlich |3| noch gar wenig gesagt. Die Empfindung, in welche er mich versetzt, ist eigentlich jenes namenlose Glück, jene selige Befriedigung, welche uns überkommt vor jedem wahren Kunstwerke. – Das ist kein Ohrenschmaus brillanter Technik, und gekonnt zusammengestellter Effekte, nein; ein Geist weht aus diesen Tönen, und in der Gewandung der Schönheit, mit der Bewegung der Anmuth tritt er heran. Und ist das die Frucht musikalischen Talentes? oder Fleißes? Nein<?>! – Mir ist dieses Räthsel klar geworden. – Ein großer Mensch hat da die Violine ergriffen, um andächtigen Hörern zu sagen und zu singen von |4| den reinen Freuden in den Blüthenhainen der Insel: Poesie! ein Apostel der Religion des Schönen und wahrhaft Göttlichen ist er gekommen, den Segen auszugießen auf diejenigen, welche darnach sich sehnen, einen Segen, womit Gott ihn so reich begnadet hat. –
Der Manfred, den ich auch in dieser Saison so glücklich war, vorzutragen, hatte nach meinem Ermessen eine noch tiefere Wirkung hervorgebracht, als das erste Mal. Ich habe wohl an Sie gedacht, und von Herzen bedauert, Sie nicht unter den Zuhörern zu wissen. Vielleicht |5| wills mein gutes Schicksal doch einmal. – Ich habe diesen Winter künstlerisch ziemlich traurig zugebracht, da fast nur unbedeutende Werke die Bühne beherrschten, und die tragische Muse gar sehr in den Hintergrund gedrängt war. Erst jetzt, nach dem Abgang der Gossmann werden größere Werke aufgeführt. – Einen Gedanken, der oft und von Vielen, unter Andern auch von Ihnen eifrig in mir angeregt wurde, mein Glück außerhalb meines Vaterlandes zu versuchen, bringe ich im kommenden Juli zur Ausführung. Ich werde am Hoftheater in München sechs Rollen spielen, und somit meine erste |6| Probe für das übrige Deutschland ablegen; ich freue mich wie ein Kind darauf, aber das Lampenfieber wird kein geringes sein. Ich habe mit wahrer Beruhigung von Joachim8 vernommen, daß Sie und Ihre liebe Familie wohl sind; und so können Sie wenigstens nach dieser Seite hin vollkommen ruhig sich der Kunst weihen; schade daß dieß aber mit den Opfern großer Reisen, u was da Alles drum und dran hängt, erkauft werden muß. Der Himmel erhalte Ihnen die volle Kraft des Leibes und der Seele, wie bisher, und mögen wir uns recht glücklich und bald wieder sehen. Ich bitte sehr, Ihr schönes Töchterlein von mir herzlich zu |7| grüßen, und ihr zu sagen, daß es mich sehr freute, daß sie meiner gedächte. Ich bleibe in tiefer Verehrung
Ihr stets getreuer Freund
Jos. Lewinsky

  Absender: Lewinsky, Josef (2591)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
701ff

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,23
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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