23.01.2024

Briefe



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ID: 19067
Geschrieben am: Dienstag 23.09.1856
 

Norderney. 23. Sept. 1856.

Geehrte Frau Doctor Schumann.
In der Hoffnung daß Sie es nicht ungütig aufnehmen schreibe ich Ihnen diese paar Zeilen um Ihnen meine tief gefühlte Theilnahme auszudrücken. Ich habe diese letzte Zeit sehr viel und oft an Sie gedacht – und würde so gern erfahren wie es Ihnen und Ihre Kindern geht seit dem großen, unersetzlichen Verlust den Sie gelitten! Freunde können ja dabei weiter nichts thun als der Allmächtige für Sie zu bitten dass Ihr treues Herz Genesung und Linderung mit der Zeit gewinnen! Wie innig schwer |2| muß für Sie diese Zeit gewesen sein! und nun wieder – da keine Heilung zu hoffen war, ist es ja das Beste was geschehen ist! Werden Sie mir nun verzeihen wenn ich Ihnen auf England aufmerksam mache! Ich bin der festen Überzeugung daß Sie sich in London die schönste Zukunft bereiten können. es fehlt ja dort so gänzlich an Clavier-Lehrerinnen seit der Dulcken. Sie wißen ja durch Erfahrung daß mit Concerten ist nicht viel zu machen – zumal in Deutschland! leben Sie in London während des saisons, so können Sie außer Ihre Stunden, doch jährlich auf |3| ein großes Concert rechnen, und könnten ohne zu große Arbeit gewiß 2 000 Pfund im Jahre einnehmen. Sie können sich auch in London
ganz einfach einrichten und Ihre Kindern eine vortreffliche Erziehung geben – und England stünde für Sie offen! Bitte – denken Sie an diesen Vorschlag – der ist wenigstens aufrichtig, und von Herzen gut gemeint, und ich kenne England und weiß auch daß Ihr Talent, werthe Frau Doctor, ganz für England paßt. jetzt haben Sie ja den Eis gebrochen: der Anfang ist in England das Schwerste. je länger Sie aber dort sind – je besser wird es, denn die Engländer sind <zu> erst träge – aber nachher |4| höchst treuherzig und anhänglich fürs Leben. was haben Sie in Deutschland! nichts wie fürchterliche Arbeit und Sorgen – und am Ende – für seine Kinder ist es ja doch die erste Pflicht zu sorgen, wenn dies auch geschähe mit große Opfer. Sie hängen an Deutschland und wollen nicht viel Stunden geben! aber – Deutschland können Sie ja dennoch treu bleiben – und Ihre schöne Kunst brauchte ja auch nicht vernichtet zu werden. denken Sie daran, geehrte Frau Doctor. Sie glauben nicht, wie Sie sich in England behaglich fühlen würden, wenn Sie in dem dortigen Leben etwas hineinleben wollten und das Land recht kennen lernten. In der Hoffnung daß Sie mir nicht übel genommen haben und mit herzliche Grüße von meinem Manne, verbleibe ich
Ihre herzlich ergebene
Jenny Goldschmidt.

P. S. 2 Worte von Ihnen würde mir sehr freuen. wir gehen in wenigen
Tagen nach Hamburg und bleiben dort 2 Wochen. Adresse: Moritz D.
Goldschmidt Gegen Ende October sind wir, mit Gottes Hülfe, wieder in Dresden.

  Absender: Lind, Jenny, verh. Goldschmidt (953)
  Absendeort: Norderney
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
229ff.

  Standort/Quelle:*) GB-Ob, s: Ms. M. Deneke Mendelssohn c. 1, fols. 42-43; Abschrift in D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,228
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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