Meine theure hochverehrte Freundin
Wie könnte meine Stimme fehlen unter den innig Theilnehmenden, die Sie jetzt gewiß von allen Seiten vernehmen. Ich versuche zu schreiben, so gut ich kann; denn ich kann des [!] Drang meines Herzens nicht zurück¬weisen, der mich treibt, Ihnen zu sagen, wie ich den tiefsten innigsten Antheil an Ihrem großen Schmerze nehme! Unaufhörlich umgeben Sie meine Gedanken, betend, daß Gott Sie stärken möge, auch dieß Schwerste zu ertragen, wie er Ihnen ja bis hier wunderbare Kraft gab! Ich hoffe zu Gott, daß er später, wenn die erste unendlich schwere |2| Zeit vorüber sein wird, den Gedanken in Ihnen recht lebendig machen wird, daß sein verklärter Geist, dessen Heimath ja doch der Himmel war, jetzt mehr bei Ihnen sein kann und wird, als er es in den letzten traurigen Jahren, die der Himmel Ihnen als Vorbereitung zu dem Schwersten schickte, sein konnte! Ach! möchten Sie dann den nun einzig möglichen Trost darin finden, daß Sie ja die geweihte Verbreiterin Seiner unsterblichen Werke, die Vollstre¬ckerin Seines herrlichen Testaments ┌sind┐, worin Er allen kommenden Geschlechtern eine Fülle von Seligkeit hinterließ.
Alle Ihre Dresdner Freunde nehmen den wärmsten Antheil, |3| unter ihnen versichern Sie besonders der innigsten Theilnahme: Augus¬te Gehe, meine Genossin Luise Wießner u Minna Frantz. Die treue Frl. Leser wird Ihnen jetzt ein tröstender Beistand sein – wohl ihr, daß sie das kann! Grüßen Sie sie, bitte, von mir. Möchten Sie wenigstens körperlich wohl sein! Gott sei mit Ihnen! Dieß ist der heißeste Wunsch
Ihrer
innig ergebenen
Marie von Lindeman
Loschwitz bei Dresden d 13 Aug 56
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