23.01.2024

Briefe



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ID: 19080
Geschrieben am: Dienstag 24.09.1889
 

Dresden, 24/<8>9 89.
Dictirt.
Innigstverehrte Frau Doctorin,
Nachdem ich allen Näherberechtigten den Vortritt gelassen, bitte ich Sie, auch meinerseits die wärmsten, herzlichsten Glückwünsche entgegen zu 24. September 1889 nehmen! Möchten Sie recht lange Jahre den sonnigsten Lebensabend ge-niessen, den Gott Ihnen, nach dem vielgeprüften, und doch auch so reich beglückten Leben schenkt, und möchten Sie auch ferner Alle, die Ihnen nahen, durch Ihre herrliche Kunst beglücken! Mit großer Freude habe auch ich von der Auszeichnung lesen hören, die unser so wohlwollen¬der Kaiser Ihnen, in gerechter Würdigung Ihrer hohen Künstlerschaft hat zu Theil werden lassen! Aber nicht allein Diejenigen, welcher [sic] ihrer Freude einen glänzenden Aus-|2|druck geben können haben diesen Tag mit Ihnen gefeiert, sondern auch die, welche sich im stillen Herzen all des Glücks erinnern, welches sie Ihnen so oft zu danken hatten, und an die¬sem Tage mit besonders bewußter Innigkeit liebend Ihrer gedenken. Zu diesen gehören Emilie und ich, und auch meine Louise. Wir haben oft den Tag vereint gefeiert; diesmal konnten wir nicht zusammenkommen, da Emilie immer wieder einen Rückfall ihrer schlimmen Krankheit hatte, und wir Beide gerade am 14 eine kleine Reise vor hatten, um die Schwester meiner Louise zu besuchen, welche in Glauchau an einen vermögenden Mann verheirathet ist, der sich jetzt eine schöne neue Villa gebaut hat, die wir nun kennen lernen sollten. Wir verlebten einige frohe Tage in dem rei¬zenden Heim, das durch einen Kreis liebenswürdiger erwachsener Kinder, die uns Alle lieb<e>haben, erst recht gemüthlich wird.
Ich schrieb Ihnen noch nicht wieder, seit Sie in Leipzig waren – war¬um sollte ich Ihnen noch |3|mehr von den traurigen Verhältnissen erzäh¬len! Denken Sie, daß ich damals schon einen beglückt zusagenden Brief, und auch einen Brief an C Limburger geschrieben hatte, als ein so sehr trauriger Brief meines Bruders kam, der Alles umstieß! Meine Schwä¬gerin ist nach unsäglichen Leiden, im Apriel [sic] gestorben. So lange erhielt ich, fast drei mal wöchentlich, die traurigsten Nachrichten, so daß ich selbst ganz angegriffen war. Doch davon genug – es ist mir wahrhaftig schwer geworden, nicht reisen zu können!
Im Sommer war Herr Niks aus Schottland, bei mir und Emilien. Der Mann erweckte mir Vertrauen. Ich habe ihm meine Erinnerungen an den Chorgesangverein, in den Jahren 1848–50 aufgeschrieben, und hinge¬schickt. Er will sie in sein Buch aufnehmen, und hat mir sehr liebens¬würdig dafür gedankt. Ich hoffe von seiner Verehrung für Sie, und den theuren Verstorbenen, daß das Buch des Stoffes würdig werden wird.
Schließlich kann ich nicht umhin noch den innigen |4| Wunsch aus¬zusprechen, daß es mir doch im nächsten Winter vergönnt sein möchte, Sie in Leipzig einmal umarmen zu können! Meine Freundin Drugulin hat uns eingeladen, sie diesen Winter zu besuchen, doch keine Zeit bestimmt – vielleicht ließe es sich einrichten, wenn sie da wären, denn die Leipziger werden Sie doch auch in diesem Jahre nicht entbehren wollen, und es wür¬de doch hoffentlich diesmal nicht wieder etwas dazwischen kommen!
Mit diesem innigen Wunsche, und den ergebensten und herzlichsten Empfehlungen von meiner Louise, zeichnet mit alter Liebe und Vereh¬rung
Ihre
innigergebene
Marie von Lindeman.
blinde Freundin

  Absender: Lindeman, Marie von (2605)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
1264-1267

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 5,264
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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