Stuttgart 1 Juni 83.
Hochverehrte Frau!
Daß mein unbedeutendes Opus mir einen so liebenswürdigen Brief von Ihrer eigenen werthen Hand eintragen würde, habe ich gar nicht erwartet. Herzlichen Dank dafür! Auch ich denke über den Musiker Wagner, will sagen über den musikalischen Falschmünzer und Antichrist, weit strenger als ich in jenem Aufsatze gestanden habe. Aber diese Dinge sind dem nichtmusikverständigen Publikum nicht klar zu machen, weil dasselbe überhaupt in aller Kunst nur nach dem Schein, nicht nach dem |2| Wesen geht. So milderte ich deshalb meine Ausdrücke, und habe dadurch erreicht, daß sehr Viele sich von mir überzeugen ließen u wenigstens nicht dem vollen Götzendienste anheim fielen – daher kam es auch, daß von meinem Aufsatz kein Exemplar mehr aufzutreiben war. Ich habe aber doch für Sie noch eins flüssig gemacht, welches ich hierbei nebst einem Artikel von Hanslick überreiche, indem ich bitte, mich nicht für anmaßend und zudringlich zu halten.
Wie gern sähe und hörte ich Sie, hochverehrte Frau, einmal wieder! Wir schwelgen seit Kurzem, nachdem wir aus allerlei Trübsal aufgetaucht sind, in den 4händigen Bearbeitungen der Kammermusiken Ihres theuren |3| Gemahls: das ist wahre Musik, erlösend, entzückend, befreiend. Wenn man solche Schätze besitzt, dann läßt sich das armselige Alltagsleben wohl noch eine Weile ertragen.
Ich schließe mit einer Bitte: nächstens wird ein junger Musiker, Hr. v Petersenn sich Ihnen vorstellen, der nichts Höheres wünscht, als Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Ich selbst habe ihn dazu ermuntert, als ich ihn vor einiger Zeit in Würzburg kennen lernte, wo er an der Musikschule den Klavierunterricht leitet. Er ist ein fein gebildeter, bescheidener junger Mann, aus einer Livländer Familie, ursprünglich zum Juristen bestimmt, dann zur Musik übergegangen, die er unter Bülow studirt hat. Als ich sah, daß er Sie so herzlich verehrt, u andrerseits |4| daß er sich in Würzburg recht einsam und kunstverwaist fühlt, forderte ich ihn selbst auf, Sie doch einmal aufzusuchen. Darf ich so unbescheiden sein, für ihn um eine gütige Aufnahme zu bitten?
Meine Frau empfiehlt sich mit mir Ihnen u Ihrem Hause, u ich bin u bleibe unverändert in herzlicher Verehrung
Ihr
treu ergebener
W Lübke.
|