Liebe Freundin,
haben Sie vielen Dank für Ihren Brief, den ersten seit langer Zeit, den man von Ihrer eignen Hand gesehn hat. Ich hatte schon,gehört, daß es Ihnen etwas besser geht, und wenn es auch langsam fortschreitet, ist es leichter Geduld zu fassen wenn man einen Fortschritt sieht. Daß Sie auch trotz Schmerz schreiben dürfen, ist auch eine Beruhigung und eine Hoffnung, denn wenn die Glieder wirklich krank wären, dürften Sie sie gewiß nicht anstrengen. Aber was braucht man für einen Vorrath Geduld auf dieser Welt! Hier ist unser Vorrath bald erschöpft und Franz seufzt manchmal so, daß wenn Windmühlen in der Nähe wären, sie sich drehen würden … In der letzten Zeit war ich dreimal im Concert. Erstens rubinstein, der abwechselnd gerast und gesäuselt hat wie der Typhon in den Steppen seines Vaterlandes, außerdem so oft daneben gepaukt hat, daß er selbst gesagt hat: „Hätte ich alle die Töne, die ich unter das Clavier habe fallen lassen, so könnte ich damit ein zweites Concert geben.“ Trotzdem ist er applaudirt worden, wie verrückt, das Publicum fand es genial. Dann Stockhausen, der die Trauer der Winterreise mit der Heiterkeit der kleinen Professorin R. gespickt hat, und das machte einen sonderbaren Eindruck. Trotzdem daß er einige Lieder wunderschön sang, kam man nicht in die Stimmung. Dann Ihr Freund Hausmann der das Tripleconcert wunderschön gespielt hat, und ebenfalls ein Celloconcert von Lindner. Der Saal war aber sehr leer und man muß gestehen, daß das Programm ungeschickt gemacht war. Drei große Concerte und weiter nichts, und noch dazu wurde das Dritte von Henselt componirt von X gespielt. Das Beste, was man dem guten X rathen könnte, wäre, seine Sauberkeit an Rubinstein zu verkaufen da wäre allen geholfen …
Was sagen Sie dazu, daß ich mit Ihrer Tochter Eugenie Balletmusik vierhändig gespielt habe und noch spielen will? Sind Sie nicht sehr entrüstet? Franz und die Kinder grüßen Sie und Marie herzlich und wir wünschen alle aufs innigste Besserung und Heilung.
Ihre treu ergebene
Enole Mendelssohn.
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