12 f. Arcisstraße München 9. Januar 1866.
Hochverehrte Frau!
Ich stehe soeben im Begriff zur Ergänzung der bereits veröffentlichten Briefe Mozarts und Beethovens eine neue Sammlung „Musikerbriefe“ herauszugeben, und zwar zunächst von Gluck, Ph. E. Bach, J. Haydn, C. M. v. Weber, Fr. Schubert, Mendelssohn und Schumann.
Die Studien die ich namentlich in den letzten Jahren über die Entwicklung der neuesten Musik gemacht, haben mich zur Evidenz davon überzeugt, daß abgesehen von seinen eigenen Kunstschöpfung [sic] für die Geschichte und Aesthetik der Musik und speciell für die tiefere Kenntniß des Zusammenhangs derselben mit dem allgemeinen geistigen Leben kein Künstler soviel gethan hat als Ihr Herr Gemal. Ja ich stehe nicht an ihn unter den Musikschriftstellern geradezu den Klassiker zu nennen.
Nun besitzen wir zwar in seiner Zeitschrift und das große Publikum in seinen gesammelten Schriften das Hauptsächlichste was von ihm in dieser Hinsicht gethan ist. Allein seine eigene innere Entwicklung, das Bild das er von seinem eigenen innern Wesen |2| mit der vollsten Unbefangenheit in seinen vertrauten Briefen gegeben, würde nicht etwa bloß interessant zu kennen sein, sondern ist um die Bedeutung dieser ganzen Erscheinung zu begreifen absolut zu kennen nöthig und bisher durch keine Biographie pp erreicht worden. Ja über wen ist wohl mehr geschrieben worden als über Mozart! Und doch haben seine Briefe ihn erst auch dem Erkennen des großen Publikums in seiner menschlichen Erscheinung nahegebracht, und schon jetzt nach kaum einem Jahre erscheint bereits eine neue Auflage derselben. Und wie dürfte nun gar in einer Sammlung „Musikerbriefe“, die eben ein kunstwissenschaftliches Quellenbuch werden soll, Robert Schumann fehlen!
Ich bin nun allerdings bereits theils im Besitz theils auf der Spur interessanter Schriftstücke Ihres Herrn Gemals. Allein wer würde mir hier theils selbst theils durch Hülfe Anderer mehr und werthvollere Beiträge geben und nachweisen können als Sie verehrte Frau!
Ich wage darum im Interesse der Kunst und ihrer Forschung wie auch der allgemein menschlichen Dinge Sie zu bitten, mir nach Ihrem Ermessen einen Theil Ihrer Schätze zu erschließen, und falls Sie nicht geneigt sein würden mir die Originalien zu überlassen, doch gütigst Copien zu übersenden. |3| Allein auch aus den Originalien würde ich selbstredend mit größter Diskretion schöpfen, falls Sie es nicht vorziehen sollten, mir die auszulassenden Stellen selbst auf irgend eine Weise zu bemerken.
Uebrigens steht ja die künstlerische Bedeutung wie die menschliche Würde von Robert Schumann so allgemein unbestritten fest, daß hier gar nicht einmal wie bei schwachen Menschen und Halbkünstlern mit solch außerordentlicher Vorsicht verfahren zu werden brauchte. Er war der Starken einer und was er gegeißelt, geißelte er mit Recht, und warum sollte also das die Welt nicht wissen?
Noch, verehrte Frau, – denn ich setze gern voraus daß meine Bitte keine unerfüllte bleibt –, muß ich ersuchen daß Sie recht bald erfüllt wird, denn schon soll der Druck der Bücher beginnen, und ich konnte nicht früher schreiben, weil ich stets in den Zeitungen einen andern Ort las wo Sie weilten und neue Lorbeern sammelten. Jetzt aber, in der Carnevalszeit vermuthe ich Sie in der Heimath bei den Ihren und adressire deßhalb dieses Schreiben nach Baden.
In der Hoffnung baldiger freundlichen Antwort
mit besonderer Hochachtung
Ihr ergebener
Dr. Ludwig Nohl
Professor.
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