Dresden, den 29ten August 1856.
Liebe theure Frau Schumann!
Lange schon wollte ich Ihnen schreiben, – immer verschob ich es, wie wenig Werth kann mein Brief für Sie haben – es drängt mich aber gar zu mächtig Ihnen ein paar Worte zuzurufen u innige Theilnahme thut immer wohl, das hab ich selbst erfahren! – Bei der Trauerkunde – die ich damals in Kissingen erfuhr – war mein ganzes Herz von Ihrem Leid erfüllt, am Liebsten wäre ich gleich zu Ihnen geeilt. – Ach was kann ich Ihnen denn sagen; nur eben dass ich Ihren Schmerz aufs Tiefste mitempfinde – wenige gewiß vermögen es wie ich – und dass ich Gott bitte Ruhe und Frieden Ihren armen Herzen zu geben. Gewiß Gott wird sie stärken und sie tragen auch jetzt schön und würdig wie bisher, die schwere Last die er Ihnen auferlegt, in der Liebe zu Ihrem Mann, in der Liebe zu Ihren Kindern, die ja eines seiner schönsten Vermächtnisse für Sie sind. Welch einen Schatz besitzen Sie in den Kindern, wie Vieles schlummert noch in ihnen – möchte Gott Ihnen reiche Freuden durch sie bescheeren. Und Ihre hohe herrliche Kunst wird Ihnen auch Trost bringen; in ihr sind sie ja dem theuren Verstorbenen stets so innig verbunden, fühlen gewiß heißer und fester da, als im alltäglichen Leben, seine geistige Nähe.
Ich denke oft dieses Gefühl der geistigen Vereinigung mit unsern theuren Vorangegangenen muss sich hier immer schöner und höher entfalten bis es einst droben seine höchste Vollendung findet! Die Erinnerung schöner Vergangenheit und die Hoffnung künftiger Wiedervereinigung, in Dank und Vertrauen zu Gott, das hilft die schwere Gegenwart tragen! – Schumann hat all die schweren Erdenleiden überstanden, gewiß, hohe Freuden genießt er jenseits! Könnten wir den Gedanken nur immer fest halten. –
Ich möchte Ihnen so Vieles sagen, liebe theure Frau, und weiß es nicht in Worte zu fassen. Es nimmt dem Schmerz nicht den Stachel, doch aber muss es Ihnen wohlthuend sein zu wissen, wie die Trauer um Schumann all überall tief empfunden wird und dass sein Andenken, wie seine Werke unvergänglich bleibt [sic]! – Und unvergänglich, gewiß, ist auch der Seegen den die Liebe eines hohen edlen Mannes und die Liebe zu ihm der Frau gewährt. Wir sind auch im Verlust noch reich gegen unendlich viele Frauen!
Mein Mann sagt in einem Briefe, den er im letzten Jahre seines Lebens schrieb: „Der Tod scheidet ja nicht die Liebe! wen Du einmal liebst, den hast Du für immer. Er muss vielleicht ein paar Jahrzehnte früher in eine andre Welt als Du, aber, wenn Du ihn recht geliebt, so bleibt Dir seine Liebe!“ – Diese Worte haben mich oft erhoben, da schicke ich sie Ihnen nun – auch ein kleines einfaches Lied, dass mein Mann mir einmal machte, lege ich bei – ich denke es freut sie [sic] –
Meine Mutter und die Schwestern grüßen Sie voll innigster Theilnahme. Wir leben auch wieder in rechter Sorge. Mein jüngster Bruder ist sehr leidend, wir erhielten die Nachricht in Kissingen, ich reiste von dort nach Stettin ihn zu holen – nun ist er mit Mutter und Schwestern hier in der Nähe im Bilaergrunde in der Wasserheilanstalt, hoffentlich thut die Kur dort ihm gut. Man darf ja nie den Muth verlieren. –
Gewiß haben Brahms und Joachim sich in dieser schweren Zeit Ihnen so recht als [?] treue Freunde bewährt; bitte, grüßen Sie beide Herren von mir. Ach ich hörte gar zu gern einmal von Ihnen – wird Ihnen, theure Frau, das Schreiben gar zu schwer, so hat vielleicht Herr Brahms die Freundlichkeit mir mit wenigen Worten über Ihr Leben zu berichten?
Mein Brief ist recht lang geworden, schelten Sie nicht – was ich sagte kommt aus mitfühlendem, treuem Herzen. Gott sei mit Ihnen!
Mit bestem Gruß u Wunsch
Ihre
Marie Reinick.
Dresden. Liliengasse No 3.
Die alten wohlbekannten Lieder,
Die Du so oft schon hast vernommen,
Sie sind auf’s Neue hergekommen,
Sie schmiegen an Dein Herz sich wieder.
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Sie kommen immer, immer wieder
Zu Dir, ein Theil von meinem Wesen;
Mit neuer Liebe wirst Du lesen
Die alten wohlbekannten Lieder.
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Wie gerne hört die Liebe wieder
Das alte Wort zu neuen Zeiten!
Wer aber weiß wie Du zu deuten
Die alten wohlbekannten Lieder!
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R. Reinick.