Montreux d. 26. 12. Pension Mooser.
Sehr liebe, verehrte Frau,
Mein Versprechen, Ihnen einmal ein Lebenszeichen von den schönen Ufern des Genfer See’s aus zu geben, erfülle ich mit großer Freude. Wird’s einem doch immer klarer, besonders wenn man viel Schweres und Trauriges erlebt hat, daß das Gefühl von treuer Liebe und warmer Freundschaft das einzig Schöne, bleibende und begehrenswerthe im Leben ist. Sie haben ein reiches Herz und besitzen als Auserwählte ein gutes Theil dieser unvergänglich, ewigen Empfindungen: ich bin glücklich, daß etwas davon uns und mir gehört und der Gedanke thut wohl: es möge für alle Zukunft so bleiben. Mit |2| diesem Gedanken schließe ich das alte Jahr, das uns so viel Schweres auferlegt <h> und so viel genommen hat und mit diesem Wunsch will ich das künftige Jahr anfangen. – Von unserem hiesigen Aufenthalt kann ich im Ganzen recht Gutes berichten. Die vollständige Ruhe und der Anblick der großartigen Natur wirken wohlthätig auf Körper und Geist. Ich muß freilich gesteh’n, daß mir häufig die unendliche Ruhe und Größe der Gegend einen etwas kalten, ich möchte sagen, verzauberten Eindruck macht. Es ist sehr, sehr schön; der blaue See, eingeschlossen von den grotesk geformten Bergen, beinah zum Himmel ragend, – aber es fehlt die Wärme, das Leben in der Landschaft. Ich war nun auch leider bis vor acht Tagen noch immer durch meinen schlimmen Fuß |3| an’s Zimmer und auf’s Sopha gebannt und konnte nur von da aus Spaziergänge mit den Augen unternehmen. Wenn man ein bewegtes Leben gewohnt und besonders wie in dem letzten Jahr ein sorgendes, so kommt einem diese Ruhe eigenthümlich vor. Der Mama geht’s im Ganzen leidlich gut; auch mein Bruder Adolph hat sich recht erholt und ich hoffe sehnlich, daß er in Zukunft von dem fatalen Leiden befreit bleiben wird. Von Schwerin haben wir nur sehr spärlich Briefe; aber aus allen Nachrichten, die uns zum Theil durch Blätter zugekommen, geht hervor, daß Aloys außerordentlich beschäftigt ist, sich aber wohl und zufrieden fühlt. Thätigkeit, die einem <mit> nach Wunsch und Befriedigung in Anspruch nimmt, ist das Beste was dem Menschen werden kann. Ich habe in den Signalen mit großem |4| Eifer Ihre Reisen bis jetzt verfolgt und werde Sie im neuen Jahr wohl in England finden? Joachim spielte im Dezember doch nicht in Frankfurt und wird wohl jetzt nicht mehr dahin kommen für diesen Winter? Mit Schwerin hat es sich, wie’s scheint, auch nicht einrichten lassen mit Ihren Plänen? Denken Sie den Verlust für meinen Bruder; Putlitz wird zu Ostern seine Stellung in Schwerin aufgeben. Das wird für ihn eine nicht auszufüllende Lücke werden. –
Grüßen Sie Marie herzlich und Julchen, die ich jetzt auch bei Ihnen vermuthe. Ihnen, liebste Frau, sage ich durch einen warmen Händedruck wie theuer Sie mir sind; in der Erinnerung an den Verstorbenen, der Sie so unendlich hoch hielt und in dem Bewußtsein, daß Sie mir gut sind.
Immer in alter treuer Ergebenheit
Ihre Josephine Schmitt.
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