Frankfurt 29/4. 87
Liebe Frau Schumann!
Wir haben gestern mit Sorge an das traurige Wiedersehen mit Sommerhof’s gedacht; nun ist auch diese Aufregung vorüber! Aber wieviel Thränen wird es der armen Mutter noch kosten, bis sie einigermaßen das Gleichgewicht ihrer Seele wiedergefunden haben wird. Es hat mir leid gethan u. thut mir leid, daß ich unsere Angelegenheiten nicht mündlich erledigen konnte, da Briefe gar zu oft Anlaß zu Missverständnissen geben. So begreife ich nicht, wie Sie denken können, ich setze Mangel an Interesse für die Anstalt bei Ihnen voraus, während ich Sie den jüngeren Lehrern stets als leuchtendes Vorbild hinstelle. Danken Sie Gott, daß Sie neben Ihrem Lehramt nicht immer die finanziellen Gesichtspunkte im Auge behalten müssen, wie ich, dem es eigentlich auch gegen die Natur geht und dem es deshalb doppelt schwerfällt! Da hilft aber nichts: ich muß es, und zwar um der Kunst willen, um des Fundaments willen, auf dem nun einmal jede Anstalt, auch die unsrige besteht, obwohl sie der Kunst und nur der Kunst dienen soll. Da ist z. B. gerade der Fall Braun; es ist ja gar keine Frage, daß Frau von Braun für das Sommersemester zu zahlen verpflichtet ist. Wenn aber eine Wittwe, die nun schon die zweite Tochter auf dem Conservatorium hat, die also seit Jahren schwere Opfer für die Ausbildung ihrer Töchtern an unserer Anstalt bringt, in Anbetracht der besonderen Umstände, der Krankheit ihrer Tochter, das Curatorium um Dispensation von der Zahlung des Honorars für den Sommer bittet, – würden Sie dem Curatorium rathen, das Gesuch abzulehnen? Solche Fälle treten fortwährend an mich heran, von anderen Verlusten, die jeder Geschäftsbetrieb aufweist, zu schweigen. Verdenken Sie mir’s da nicht, wenn ich besorgt bin, unsere Mittel zu Rathe zu halten, und wenn ich Ihrem Ausspruch, daß die künstlerischen Interessen den finanziellen unbedingt vorgehen, den gewiß berechtigteren entgegensetze: sie müssen beide und zwar gleich mäßig gewahrt werden. Genug davon! Meine Absicht war ja nur, mich Ihnen gegenüber zu entschuldigen, daß ich so eine prosaische Bestie sein muß, – weiß Gott, nicht um Sie zu beschuldigen. Wenn ich mir erlaubte, auf den gegenwärtigen Stand Ihrer Schüler hinzuweisen, so war es doch auch nicht, um meinerseits zu renommiren. Aber ich erinnere mich eines Ausspruchs von Ihnen aus den ersten Wochen meiner Directionsführung. Sie klagten: das Niveau der Begabung, die Qualität der Schüler am D. Hoch’schen Conservatorium werde immer niedriger; auch Urspruch habe sich in diesem Sinne über Sie geäußert. – Da darf es mich doch mit Befriedigung erfüllen, daß es nicht mehr so ist. Sie werden auch bei ruhiger Ueberlegung zugeben, daß eine Klasse Oberstadt, Borwick, Dessauer, De Lara, Wetzler u. s. w. wohl so gut ist, als irgend eine die Sie je gehabt haben – und das freut mich und darf ich aussprechen. Nun bitte ich nochmals um baldmögliche Mittheilg der Solostücke für Ihre Schüler; auf ein Clavier-Ensemble (mit Geige u. Cello) verzichte ich; ich habe zu viel Material! Der Vortrag des Herrn Zachariä zu dem ich einlud, ist erst nächsten Donnerstag.
Mit herzlichen Gruß
Ihr ergebener
Scholz.