23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 19471
Geschrieben am: Sonntag 21.02.1858
 

Schloß Roop, d. 21. Febr. 1858.

Es gibt Schicksale, die uns armen [sic] Erdenkinder treffen, die eben nur für die eigne Kraft der Seele berechend sind und deren Last allein zu tragen, Trost und Befriedigung im namensolen Leid gewähren; es giebt Schmerzen, die so tief und so heilig sind, dass das unmittelbare Trostwort, das Aussprechen eines noch so warmen und wahren Mitgefühls, störend und peinlich in die stille Heiligkeit unserer Schmerzenswelt eingreift. Die Zeit allein kann mildern, und nur wenn auf das frische Grab, in welchem uns das Theuerste das wir auf Erden hatten, ruht, nicht mehr die Thränen der Verzweiflung, sondern die der stillen Wehmuth herabfließen, erst dann mag es den Freunden gegönnt sein, dem leidenden, aber beruhigteren◊3 Herzen wieder nahe zu treten. – Dich, meine theure Clara, hat ein solches Schicksal getroffen; Dein Schmerz war ein unnahbarer, und jedes Trosteswort hätte mich eine Entweihung desselben gedünkt; man musste Dich |2| damit alleine lassen! Es wird mir ein leuchtender Stern in meinem Leben bleiben, daß Du mich Deiner Liebe gewürdigt; mit dieser Liebe hast du sicherlich auch einen Blick in mein Inneres gethan, der Dir die Ueberzeugung gab, dass ich Dein Gefühl aus voller Seele erwiederte! Darum wirst du nicht an mir gezweifelt haben, als ich schwieg, wo Alles sich beeilt haben wird, Dir Trost zuzusprechen, wo es keinen Trost gab. Als mich die Kunde Deines ungeheuren Verlustes traf, hab‘ ich Dir und ihm, die treuesten Schwestertränen geweint – Dir mehr als ihm, denn Dir ward auferlgt, das Leben ohne ihn zu ertragen, er aber, erlöst von aller irdischen Pein, kehrte verklärt zurück zu dem göttlichen Urquell, von welchem er ausgegangen war. Ich war damals in Mannheim, von dort schrieb ich an einen Musickdirector nach Bonn, dessen Name mir entfallen ist, und erkundigte mich bei ihm nach deinem Aufenthalt, erhielt aber keine Antwort. Später machte |3| ich mich selbst auf den Weg dorthin, und pilgerte an das Grab deines Robert, um ihm den frischen, wohlerrungenen Lorbeer-kranz auf seinen Grabhügel zu legen und ihm noch dort die treusten, wärmsten Thränen der Bewunderung und Liebe zu weinen. Der einzige Zweck dieser Reise war: dem theuren Verblichenen diese letzte Huldigung darzubringen, zu welcher mich mein Herz trieb. Dich selbst noch aufzusuchen – denn ich hatte erfahren, dass Du Dich nach Linden zurückgezogen habest – erlaubte mir weder meine Zeit, denn schon wieder fast ein Jahr von meinem Mann getrennt, war es beschlossen, daß ich zum Herbst zu ihm zurückkehren sollte, noch das Gefühl welches mich abhielt, Dich in Deiner Trauer zu stören. Seit einem Jahr und bald 8 Monaten bin ich nun wieder hier, habe aber auf’s Neue die Erfahrung gemacht, daß, soll ich nicht in jeder Beziehung zu Grunde gehen, eine abermalige Reise in die liebe Hei-math, zur Nothwendigkeit geworden ist. Will ich auch alles Andere unberührt lassen |4| was mir den hiesigen Aufenthalt unerträglich macht – und davon könnte ich ein Buch schreiben – so ist es haupt-sächlich meine Gesundheit welche ich zu berücksichtigen habe, da sie weder den, mich hier umgebenden, Verhältnissen, noch dem hiesigen Klima zu wiederstehen vermag und ein abermaliger gebrauch von Carlsbad ist nicht länger aufzuschieben. Ich werde Ende April in Berlin sein und Dich wiedersehen! Daß mein Herz bei dem Gedanken höher und freudiger emporschlägt, brauchst Du dafür eine Versicherung? Eine Antwort auf dieses Schreiben erbitte ich mir nicht von Dir, denn sie würde mich, bei der Langsamkeit des hiesigen Postganges, kaum mehr treffen. Diese Zeilen sollen mich Dir nur ankündigen, Dir die Grüße meines treuen, unveränderten Herzens, und die Bitte bringen: daß auch du mich mit alter Liebe empfangen mögest. Bis jetzt war in Beziehung auf Kunst wieder Alles tod, öde und still um mich – bei Euch will ich wieder aufleben, hören, sehen und genißen! Leb wohl, meine theure, unvergeßliche Clara! An ein treues Herz drückt Dich Deine
Wilhelmine von Bock

Deiner Mutter, Deinen Geschwistern, meine herzlichsten Grüße!

  Absender: Schröder-Devrient, Wilhelmine, in 3. Ehe verh. Bock, Wilhelmine (1405)
  Absendeort: o. O.
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
471 - 474

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,244
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

Fehlerbeschreibung*





Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.