23.01.2024

Briefe



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ID: 19474
Geschrieben am: Freitag 21.01.1859
 

Dresden d. 21 Jan. 1859.

Böse, böse Frau!
Da sitzt man nun und wartet, wartet, und wer nicht kommt, ist Clara! Wüßtest Du meine geliebte Clara, wie gerade ich mit doppelter Sehnsucht auf Dich gewartet habe. Denn wie viel, wie viel Wichtiges hätte ich mit Dir zu besprechen gehabt, was sich eben nur mündlich sagen läßt, weil der Raum eines Briefes es nicht fassen kann. Ich will ganz kurz sein und Dir in einigen Zügen sagen, wie es um mich bestellt ist. Ich muß wieder arbeiten, um den Unterhalt meines Lebens zu verdienen, denn mein Mann ist für den Augenblick außer Stande mir zu geben, was ich brauche und hat daher, der Nothwendigkeit weichend, selbst eingewilligt, daß ich den Weg der Öffentlichkeit wieder betrete. Wie ich die Bühnenverhältnisse jetzt habe kennen lernen, ist da nicht viel Ruhm zu holen und es bieten sich für mich tausend Hindernisse, da ich vor allen Dingen eine Künstlerin und keine Seiltänzerin bin. Aber |2| schon lange ist es mein Wunsch in meinem deutschen Vaterlande, das deutsche Lied zu Ehren zu bringen, und so bin ich denn entschlossen, gleich einem Minnesänger mit meinem deutschen Liede in die weite Welt zu wandern und frage daher bei Dir an: ob ich nicht auch nach Wien und den deutschen Theil Oestreichs [sic] kommen könnte? Du wirst gehört haben, mit welch glücklichem Erfolg ich hier wieder gesungen <habe> und wie ich durch meine Wahrheit der Lüge das Schlangenhaupt zertreten habe. Ich fühle mich voll Kraft zu solchem Unternehmen, und meine Stimme ist volltönend und gesund und ich denke, die musikalischen Herzen der Oestreicher [sic] werden auch den ewigen Klängen eines Schubert, Schumann, Weber, R. Franz offen stehen, und reicht mir meine Clara noch dazu die Hand, so zweifle ich nicht, daß durch die Vereinigung zweier solcher Künstlerseelen, dem deutschen Liede eine |3| neue Aera aufgeht! Ich bitte Dich meine theure Clara mir recht bald zu antworten, denn die Zeit drängt, und der Winter neigt sich seinem Ende, will man also noch etwas unternehmen, so müßte es bald sein. Willst Du mir beistehen? Ja Du willst es! Daß dieser Brief vorläufig nur für Dich geschrieben ist, brauche ich wohl nicht erst zu bemerken. Erst muß ich Deine Ansicht in Bezug auf Wien wissen und muß vor allen Dingen wissen: ob Du Dich mir anschließen willst, denn ohne Dich, möchte ich dort nichts unternehmen. Ich will später an den Rhein und nach Holland, vielleicht zur Saison nach London, und zum nächsten Herbst nach – Amerika! Ja theure Freundin, das Schicksal hat Deine Wilhelmine einmal wieder recht an der Nase herumgezogen. Was habe ich Dir alles zu sagen, wenn wir uns wiedersehen! |4| Ich sehe Deinen Nachrichten mit Ungeduld entgegen, darum wirst Du mich nicht lange warten lassen, denn es hängt zu viel für mich davon ab. Wie Dir mein Herz zu eigen ist, weißt Du, und so drücke ich Dich mit alter, treuer Liebe an das Herz
als Deine
Wilhelmine Schroeder-Devrient.
dies wieder mein Künstlername.

Ich wohne: Scheffelgasse No 1. 3 Trp.

  Absender: Schröder-Devrient, Wilhelmine, in 3. Ehe verh. Bock, Wilhelmine (1405)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
477ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,260
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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