23.01.2024

Briefe



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ID: 19520
Geschrieben am: Sonntag 22.03.1868
 

Copenhagen 22 März 1868

Liebe Frau Schumann,
nehme an Sie sind wieder auf deutschem Boden, & freue mich ganz außerordentlich. Das Leben in England ist doch noch angreifender als das Concertiren in Deutschland. hier kann man doch drei und mehr Concerte in einer Stadt geben & lebt verhältnismäßig gemüthlich dabei. --- Wundern Sie sich nicht gar zu sehr daß ich hier bin? Johannes brachte mir in Hamburg eines schönen Morgens die unangenehme Nachricht daß das Elend in Finnland so groß sey daß sogar die Concerteinnahmen in Petersburg dahin flössen. Da machte ich kurzen Prozeß & telegraphirte |2| Ich hab' es nicht bereut, denn Joachim hat die Nachricht bestätigt. Er schreibt ich wäre allerdings der einzige dort gewesen weil alle sich gescheut hatten hinzureisen, aber in solchen Zeiten muß man nicht Concerte geben. Mein erster Gedanke war von hier nach Schweden zu reisen; aber auch dort ist große Noth & so will ich nach Ostern nach England & bitte Sie um einen guten Rath. Ich begreife sehr wohl daß Chapell kein Zutrauen haben kann, weil er gewiß erfahren hat, daß Erkältungen meine Stimme öfter unzuverlässig machen, & darum denke ich werde es gut seyn jetzt hinzureisen. Und so kam es daß ich mich mit Joachim] auf die Reise machte. |3| nähere Bekanntschaft mit dem & den Verhältnissen zu machen. Ich will an alle schreiben & an Chapell selbst. Lieb wäre es mir aber wenn Sie mir einige Winke geben wollten, liebe Freundin. Ich fühle es wohl; ich muß mir das Engel-Land oder besser das Enge Land erobern wenn ich Geld zurücklegen will. Auch hab' ich jetzt den Muth dazu, weil die Stimme, seit ich nur Sänger bin, bedeutend an Kraft & Ausdauer gewonnen hat. Ueberall wo ich auftrete ist man mit mir zufrieden. warum sollte man es nicht in England wenn ich richtig wähle. Darauf kommt es wohl ( bei den vielen Sängern) an & ich werde vorsichtig seyn. Kann man wirklich jetzt Schumann'sche Lieder singen? Deutsche und englische Volkslieder denk ich wären wohl dort am Platz. |4| aber lieb wäre es mir natürlich wenn ich diese Season noch Gelegenheit hätte, im Messias, Samson, Elias, Paulus, oder in der Passion aufzutreten kann, Sie wissen ja was ich singen kann & ob es gut genug für die Engländer ist. Ich denke es brauchte nur eine passende Gelegenheit & es wäre gut! Brahms hat heute wie toll im Schumannschen Concert, d. h. er lernt es auswendig, denn Sie wissen, vom wirklichen Leben ist bei ihm sehr selten der Fall. er ist gewiß unser größter Musiker; eine solche Organisation, verbunden mit dem Wissen ist mir noch nicht vorgekommen, aber ein Clavierspieler wird er nie; jede Uebung langweilt ihn so sehr daß er nur ---- spielt. Wir haben gute aber nicht sehr gute Concerte in Dresden, Berlin, Hamburg, Koeln und hier gegeben. Wenn er die selten gehörten Stücke vollendet spielte, würde auch er anziehen, aber er sitzt am Clavier und musiziert, & das genügt am wenigsten bei Stücken die dem Publikum fein zergliedert werden wollen. Bemerkungen nützen aber nichts, es ist mit ihm vergebene Mühe. Schon die Begleitung der Lieder ist ihm zu viel. Nun gar die Arien! Sie würden manchmal Ihren Spaß dabei haben. Sie kennen ihn ja. Dienstag unser Duett hier! - Nun addé! ich kann bei der schönen Musik nicht mehr schreiben. Ihr herzlicher Sänger.


Tausend Dank für den ausführlichen Brief. Ich darf die Zeit erst an die Genoveva-Aufführung denken. - Singen muß ich und Geld verdienen.


Liebe Grüße den l. Ihrigen & an die Damen Leser & Ida


An Gade haben wir große Freude. Er ist ein liebenswürdiger & frischer Geist. Aber auch Thorwaldsen macht uns den Aufenthalt hier lieb .


Viele Grüße den l. Ihrigen. u an die Damen Leser u J. Tausend Dank für den ausführlichen Brief. Ich darf das Jahr nicht an die Genoveva-Aufführung denken. – Singen muß ich u Geld verdienen

  Absender: Stockhausen, Julius (1547)
  Absendeort: Kopenhagen
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
704 - 708

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,238
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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