Mailand 10.ten Mai 1840
Meine theuerste Clara,
Es ist schon fast ein Jahr daß ich keine Nachricht von dir empfangen habe! hast du denn meine Briefen nicht bekommen? oder hast du mich ganz vergessen?.... ach, nein, dieß Gedanke ist nicht erträglich! und du bist zu gut, zu empfindsam, um deine treue Pauline vergessen zu haben – nein, nein, es ist nicht möglich, es kann nicht seyn. denn Benedict Kietz hab’ ich in Paris gesehen und von ihm erzahlen lassen wie du geplagt und unglücklich warst. gleich hab’ ich dir nach |2| Berlin geschrieben, ohne Antwort zu erhalten – einige Zeit nachher schrieb’ ich wieder, dir meine Heirath an zu kündigen – ja, liebe Clara ich wünsche dir das Glück welches ich jetzt genieße – mein theurer Gemahl ist ein alter, geistvoller, liebender Mann.
Seine hohe Kentnisse, sein liebenswürdiger Caracter, sowie seine zärtliche und mächtige Liebe für mich, entzücken alle die Augenblicke meines Lebens. Er ist ein litterateur von größtem Talente und Reputation – Seine Werke sind von dem ganzen künstlerischen Welt bekannt – beste Clara, bald, hoffe ich, bald werde ich ihn dir |3| vorstellen können – und bald, hoff’ ich auch, werde ich dich Clara Schuhman nennen können – könnte es gleich geschehen! Wie du siehst, wir sind jetzt in Italien – wir machen eine Reise blos die jetzigen Künstlern zu hören – meine theure Mutter reist mit uns. Den nächsten Winter werden wir in Paris seyn – werde ich dich da treffen? ich hoffe ja! – Willst du mich ganz glücklich sehen so schreibe mir, wenn auch ein paar <Wo> Zeilen und richte sie sous enveloppe an Fräulein J. Viardot meines Gemahl’s Schwester, rue Fauvet 12 in Paris – Sie wird ihn mir schicken.
|4| Adieu, theuerste Clara sey immer meine Freundin wie vorher und empfange einen zärtlichen Kuß von deiner
Pauline Viardot
Ma mère t’embrasse bien affectueusement et mon bien aimé Louis tu presente les Compliments respectueux en attendant mieux –
Wenn du an Herrn S. – schreiben wirst sage ihm daß mein heissester Wunsch ist dich und ihn vereint zu sehen – ich hoffe ein kleines Plätzchen in seinem Herzen zu füllen – nicht wahr, du erlaubst es?.... Adieu liebes Kind vergiß mein nicht.
Complimenten an Frau v. Berg.
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