Liebe, hochverehrte Freundin,
Lassen Sie mich Ihnen vor allen Dingen aus dem Grunde meines Herzens danken für die wenigen Stunden, die Sie mir bereitet haben. Daß ich Ihnen diesen Dank nicht selbst aussprechen kann, ist mir eine harte Entbehrung! Da mir sehr daran gelegen war, Ihren Wunsch nach genauerer Nachricht über Ihren armen Ludwig noch vor Ihrer Abreise nach England zu erfüllen, so habe ich meinen Neffen, den Ihnen vorgestellten ehemaligen Göttinger Studenten, veranlaßt, nach Colditz zu fahren und mir für Sie einen schriftlichen Bericht der Ergebnisse seines Besuches aufzusetzen. Es traf sich glücklich, daß er in dem erwähnten Assistenzarzte einen ehemaligen Studiengenossen fand, der ihn bei dem sonst schwer zugänglichen Direktor einführen konnte. Da Sie nach den früheren Nachrichten alle Hoffnung auf Wiederherstellung Ihres armen Sohnes aufgeben mußten, so kann der Bericht meines Neffen Ihnen freilich nur die beruhigende Ueberzeugung geben, daß Ihr Ludwig so gut aufgehoben ist und behandelt wird, als es unter den obwaltenden Umständen möglich ist. Von Herzen wünsche ich, daß sie sich dort recht ausruhen und für die bevorstehende Reise stärken mögen. Ich und die Schreiberin dieses, meine Lisa, senden Ihnen nochmals tausend Dank und Ihren lieben Töchtern die herzlichsten Grüße, ich auch speziell der lieben Marie freundlichen Dank für <I>ihr Briefchen. Es wird Sie Alle gewiß freudig interessiren zu hören, daß im letzten Conzert das „Zigeunerleben“, von Grädener sehr glücklich instrumentirt, den durchschlagendsten Erfolg erzielte und wiederholt werden mußte.
Und nun Gott befohlen – in treuster Anhänglichkeit und Verehrung
Ihr alter Freund
Voigt
Leipzig d. 25. Jan. 73.
NB. Da Sie gewiß meinen Neffen Stöckhardt einmal sehen werden, so bitte ich, ihn herzlich von mir zu grüßen.
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