23.01.2024

Briefe



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ID: 19693
Geschrieben am: Mittwoch 10.08.1892
 

Heiden, Appenzell 10 Aug. 92
Geliebte Frau Schumann!
Herzlichen Dank für den lieben Brief, aus dem wir so gern hätten lesen mögen, daß es Ihnen recht gut geht. Wie leid thut es uns, daß Ihre Besserung nur so langsam fortschreitet & die bösen Uebel gar nicht weichen wollen. Daß Sie Eugenien wegen weniger besorgt sind, wird Ihnen das eigene Leiden leichter machen, möchte doch auch die gute Schweizer Bergluft Sie stärken & erfrischen. – Wir haben nun zum Glück die langweilige Carlsbader Cur hinter uns & meinem Mann geht es von Tag zu Tag besser. Da der Sprudel ihn so stark angegriffen hat so hoffen wir, er habe ebenso gewirkt & das böse Uebel fortgenommen. Wir reisten Ende Juli von Carlsbad ab, blieben einige Tage |2| in München & sind seitdem hier.
Zuerst wohnten wir einige Tage bei Herzogenberg, da dieser es sehr wünschte, jetzt sind wir in seiner Nachbarschaft in einem kleinen Gasthaus, sind jedoch täglich zusammen & essen meist draußen. Spittas sind seit 8 Tagen ebenfalls hier, sie wohnen im „Abendroth“, (so heißt das Haus wie Sie wissen) dasselbe ist ein schönes, stattliches Haus, enthält 10 Zimmer, Küche, Keller. Es hat 2 große balcons & liegt unvergleichlich schön. Unser Zusammenleben ist ganz reizend. Vormittags thut Jeder was er für gut findet, erst zum Mittagessen kommen wir zusammen. Nachher trinkt man den Kaffee auf dem balcon, hält eine kurze siesta & dann wird ein Spaziergang unternommen. Herzogenberg führt denselben an & macht uns seine Unermüdlichkeit & Ausdauer oft staunen. Denn er geht stundenlang bergauf, bergab & bedarf weit seltner des Ausruhens als wir Andern. Die Gegend gehört jedenfalls zu den Schönsten, eine solche Mannichfaltigkeit ist selten zu |3| finden. Mit großer Leichtigkeit erreicht man die Höhen & hat von dort Ausblicke die nur mit Rigifernsichten zu vergleichen sind. Die Wege sind meist schattig, führen durch Wäldchen, Baumgänge, Schluchten, <> es ist einzig schön. Woher Heiden einen un-günstigen Ruf z. B. in Basel hat, weiß ich nicht zu erklären aber ich werde mich wohl hüten, ihn zu zerstören, ist doch ein Hauptreiz auch darin zu suchen, daß man hier so einsam ist. Man merkt fast keine Fremden, doch sollen die Gasthöfe ziemlich besetzt sein. – Musik hören wir ab & zu. H. hat wieder eine Violinsonate fertig die den Herrn sehr gut gefällt, Joachim der Ende des Monats hierherkommt soll sie ansehen, bevor sie gedrukt [sic] wird. Außerdem hat H. eine größere Anzahl Lieder, Duette für Sopran & Bass, componirt & eine Cellosonate in Arbeit. Das Quintett 4händig gesetzt, spielt er mit Helene Hauptmann, die ihre Sache sehr gut macht. Sie wird ja den Sommer hier bei Heinrich sein & ist |4| diese Einrichtung sehr zu begrüßen.
H. hat dadurch eine behagliche Häuslichkeit & keine<> Haushaltssorgen. Er wünscht seine Freunde stets um sich zu haben & hofft auf Spittas regelmäßigen Besuch. Nun es wird sich Alles gestalten, einstweilen freuen wir uns der Gegenwart.
Wir denken bis Ende des Monats hier zu bleiben & dann nach Ba¬sel zurückzukehren. Unser Hausbau ist noch immer unentschieden, ich bezweifele ob wir ihn unternehmen werden. Der Architekt will zwar das Haus für 30,000 Fr. herstellen, aber der Platz soll 16,500 kosten & dieß scheint uns doch sehr theuer. Auch ist die Lage des Bauplatzes uns nicht ganz erwünscht. Wir wollen nun sehen ob sich nicht ein fertiges Haus kaufen läßt oder ob wir einen andern Platz finden. Lieber als ein Stadthaus wäre mir ein kleines Besitzthum auf dem Lande, das Hotelleben scheint mir immer unerträglicher. –
Nun Gott befohlen, geliebte theure Frau Schumann nehmen Sie mit der l. Marie die innigsten Grüße von uns Allen
Getreu Ihre Jetta Volkland
Den Brief v. Rudorff sende ich hierbei mit vielem Dank zurück, er hat uns Alle interessirt.

  Absender: Volkland, Henriette (1640)
  Absendeort: Heiden (Appenzell)
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Interlaken
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
608-611

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 6,137
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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