Breslau den 19t Oct. 94
Theure Frau Schumann,
Gottlob daß ich endlich gestern durch Marie gute Nachricht von Ihnen hatte u nun weiß, daß Sie wieder zu Haus in gewohnter Weise leben – wie es mir danach scheint, jede Spur des Unfalls überwunden haben! Wie entsetzt war ich, als ich davon in der Zeitung las! wie habe ich mich mit Gedanken u Fragen herumgequält u bitter empfunden wie schwer es ist, von geliebten Menschen so weit entfernt zu sein! Aber es ist ja nun einmal nicht anders u Alles klärt sich, seit ich weiß, das [sic] der Unfall ausgeheilt ohne Spuren zu hinterlassen. Da will ich gern meine Fragen fortpacken, denn es ist gut wenn weder Sie noch Marie mit den Gedanken in die bösen Tage zurückgehen. Es hat mich so gedrückt, daß Sie, die Sie wahrlich körperlich schon so mancherlei zu ertragen haben, nun noch durch einen so unnötigen Zufall noch mehr leiden sollten – ach, man möchte Ihnen so gern alles Schwere abnehmen! Hoffentlich sind Sie nicht um die Erholung des Sommers gekommen, der doch so freundlich für Sie war, u die Nerven haben sich von dem Schreck auch wieder erholt. Mit Eugeniens Gesundheit haben Sie doch, wie ich sehe, immer noch Sorge! Gut, dß sie zu Weihnachten wieder zu Ihnen kommt. Es scheint, daß das Leben in London doch ruhiger für sie ist, da sie allein lebt u nur durchzumachen hat was speciell an sie kommt. Da kann sie sich neben ihrer Thätigkeit pflegen u schonen. Und nun, geliebte Frau Schumann – schicke ich Ihnen alle Briefe die Sie mir geschrieben haben und danke Ihnen noch einmal innig u zärtlichst für die Freude die mir jedes kleinste Blatt davon gemacht hat. Wie habe ich jeden Brief wenn er kam begrüßt u an die Lippen gedrückt, wie hat mir so Vieles das Herz bewegt! Frl Leser wird die Trennung v. d. Briefen leichter geworden, sie kann nicht sehen – aber, es ist ja gut so, Sie haben Recht und – das ganze Leben geht ja eben zu Ende!
N. B. ich habe mir kein Andenken an die Briefe zurückbehalten, es ist Alles dabei nur ein Häufchen leere Couverts liegen noch da, ich habe sie nicht können in den Papierkorb werfen, weil Ihre liebe Hand darauf geruht. –
ich hätte Ihnen schon früher geschrieben, ohne Marieens Brief abzuwarten, aber es war unruhig bei uns u wenn man mit Jemanden zusammenlebt, wie ich mit m. Schw., so hat man schwer Zeit für sich allein. Es geht uns aber gut, besonders ist meine Schwester lange frei von ihrem Leiden gewesen u in solchen Pausen heben sich ihre Kräfte. Nun fängt es allerdings wieder an, aber ich hoffe, dß es nicht so oft kommt. Ich bin nicht mehr sehr leistungsfähig u muß Alles was ich vornehme sehr einteilen. Aber es geht auch mir besser; nur mir dem Ausgehen hat es stets Schwierigkeiten besonders Abends in Conzerte, die ich sehr gut aushalten könnte – aber das Hin u Zurück, spät Abends u allein! Dann bin ich so gewöhnt Alles mit meiner Schwester zu teilen, daß ich es wie ein Unrecht empfinde von ihr fort zu gehen um einen Genuß ohne sie zu haben. Die Kammermus. Conzerte haben das Cl. Quintet v. Brahms angezeigt mit Herrn Mühlfeld – da will ich doch sehen hinzukommen. Nun behüte Sie Gott, theure geliebte Frau, nehmen Sie die lieben Briefe hin und wenn Sie dieselben verbrennen sollten, dann senden Sie ihnen noch einen Segensgruß von mir nach. Meine Gedanken sind in den letzten Tagen viel in der Vergangenheit gewesen u waren recht bewegt. Die ersten 3 Jahre [bei Ihnen] waren ein bedeutsamer Abschnitt meines Lebens und, was auch mich bedrückte, so steht doch Ihre Güte u Liebe hell vor meinen Augen u warm fühle ich sie im Herzen. Lassen Sie mich immer wieder danken u danken für alles Gute das Sie mir unverdienter Weise geboten! Könnte ich Sie noch einmal im Leben umarmen u küssen dafür!
Meine Schwester grüßt Sie mit mir herzlichst. In alter treuer Ergebenheit
Ihre
Elisabeth