Breslau 2t Nov. 94
Geliebte Frau Schumann,
Wie hat mich Ihr theurer Brief erfreut u gerührt – innigen Dank dafür! So hat doch der liebe Arm wieder einige Kraft u gewiß wird er ganz genesen. Sehen Sie, man kann auch im Alter Schweres überstehen u gut darüber hinweg kommen! Wie so oft schon, hat auch diesmal Ihr lieber Brief, neben der Freude auch manches Wehmütige gebracht. Sie leiden, und das kann ja kaum anders sein, denn das Alter bringt es mit sich. Der Körper geht langsam in seiner Kraft zurück u dadurch wird uns Eins nach dem Anderen entzogen von dem was das Leben sonst genußreich machte. Wer aber ein so reiches Leben hatte wie Sie, kann ja dem still zusehen – Ihr häusliches Leben bringt ja noch Behagen u Interessen genug. Ich kann Sie nur innig bitten – wehren Sie der Melancholie! Die thut Ihnen Schaden u vertreibt das Gute das Sie noch so reichlich haben. Denken Sie gar nicht an das Schlimme was noch kommen könnte – es muß ja nicht kommen, kommt auch oft, selbst im Alter, nicht, wogegen Krankheit selbst ganz junge Menschen aufsucht. Zerstreuen Sie Sich so viel es irgend geht u greifen Sie nach dem, was Ihnen in der Stimmung aufhilft.(Wie freue ich mich, dß Sie in nächster Zeit die lieben Freunde bei Sich haben u anregende Musik hören werden!) Ihr Körper ist doch robust u wird auch den Leiden des Alters wehren dß es nicht zum Schlimmsten kommt – Sie haben in den letzten Jahren Krankheiten wunderbar gut überstanden. Das böse Alter kommt überhaupt erst wenn man auf die 90 zu geht, bis dahin haben wir noch Zeit. Und wenn Sie wirklich nach Jahren nicht mehr sollten ausgehen können (was wohl nicht kommen wird) dann ist es noch immer solch ein sehr großes Glück für die Kinder Sie zu haben, Ihre Liebe u Ihren Rath zu besitzen, daß ich Alle darum glücklich preise. Besonders Marie die Sie pflegen kann u Ihnen so viel ist. Was giebt es denn Herrlicheres auf Erden, als für das Liebste das man hat leben zu können? u ob das nun ein Mann, oder Kinder, oder eine so geliebte Mutter – das ist doch Alles Eins! Marie könnten viele Mädchen beneiden. Ich bin ja auch so glücklich, ich kann das verstehen u nachfühlen, nur habe ich so oft den Kummer, dß ich nicht jung u nicht gesund genug für meine liebe Aufgabe bin. Meine Schwester sagt aber, wenn ich klage, sie möchte Niemand Anderes um sich haben als mich. Gott erhalte Ihnen die Gesundheit u Thatkraft Ihrer Marie! Daß Sie die Enkel zu erziehen haben, ist ja allerdings eine schwere Sache für Sie, alles Erziehungswerk erfordert so viel Geduld u Zeit. Aber auch da steht Ihnen Marie mit Mut u Jugendkraft bei. Es ist doch eigentlich eine schöne Aufgabe die Sie haben, da nun einmal das Schicksal es so gefügt hat dß die armen Kinder vaterlos sind. Ich denke, Julie wird die Launenhaftigkeit überwinden. Sie schreiben, sie weiß dß sie unliebenswürdig ist u kann es nicht ändern – ach, das kenne ich, unter Ähnlichem habe ich in meiner Jugend sehr gelitten u bin doch später mit mir fertig geworden. Denken Sie, wie lange Zeit ein Mädchen hat sich zu entwickeln, wie es ja oft im ganzen Leben nicht aufhört. Das einzige Mittel für ein Mädchen wie Julie, ist, dß sie Selbstgefühl bekommt durch Erfolge u sieht was man mit ihr zufrieden ist. Gewiß ists sehr gut dß Sie sie noch haben u immer weiter unterrichten – Wissen u Können ist ja das schönste Capital das man einem jungen Menschen mit auf den Lebensweg geben kann. – Könnte nicht Julie Marien schon helfen den Bruder zu unterrichten – mit ihm französisch lesen, Clavier üben e.t.c. nach Mariens Angabe? Die Geschwister halten doch gewiß sehr zusammen? Ist wohl Eugenie damit jetzt einverstanden dß Sie die Kinder bei Sich haben? Was Sie mir von Eugenie schreiben, hat mich so herzlich gefreut – könnte ich sie doch noch näher kennen lernen! Sehen Sie, Sie schreiben Eug. hat sich auch, „in den letzten Jahren“ noch entwickelt! Sie fragen so freundlich nach unserem Ergehen. Meine Schwester ist viel wohler als im Frühjahr. Hätte sie das Herzleiden nicht, würde sie ganz gesund sein. Nun kommen aber die Anfälle in größeren Pausen, u dauern nicht so lange, da ist sie kräftiger. Aber das alte Leiden kommt doch immer wieder u auch ich sehe sehr oft recht trübe in die Zukunft. Meine Gesundheit ist unzuverlässig u wenn ich denke, dß wir Beide einmal könnten siech werden u Niemand der uns pflegt – dann werde ich melancholisch! Nun vielleicht kommt es doch nicht so. Bei den Kindern meiner Schwester ist auch manche Sorge – meine Nichte ist recht ernst nervenleidend u Anton ist auch nicht mehr jung u rüstig! – Sie haben Recht, Krummhübel ist für uns jetzt zu rauh, wir denken auch daran im nächsten Sommer einen milderen Sommeraufenthalt zu wählen, haben auch schon einen in Aussicht. mehr in den Vorbergen. Es ist aber schwer für uns beide Alte etwas Neues zu unternehmen, ohne Hülfe. Könnten wir in Ihrer Nähe einige stille Sommerwochen verleben u öfter mit Ihnen zusammensein, das wäre schön, – ist aber nicht möglich. Wir können nicht mehr weit reisen. Und Sie dürfen auch keine Abschiedsreise bei den alten Freunden machen, das wäre mehr wehmütig als freudig. Erlauben Sie mir nur daß ich an Ihnen u Ihrem Ergehen Teil nehme, mit den Gedanken bei Ihnen bin u – es auch noch aussprechen darf, wie in dieser langen Epistel, was mir ein Bedürfniß ist. – Meine Schwester geht täglich ein wenig aus, ich auch, u hatte ich die Freude, dß sie einigemale Nachmittag mit in unseren Privat-Musik-Cirkel kommen konnte, wo einige Freunde uns vorspielen. In Conzerte geht sie gar nicht mehr. Ich habe vor Kurzem die Freude gehabt das Clar. Quintett v. Brahms mit H. Mühlfeld zu hören – es war mir ein großer Genuß, besonders da meine Freunde es mir schon mehrmals 4hdg. vorgespielt hatten. Wie gern würde ich es nun noch einmal mit besserem Quartett hören! Ich habe nicht gedacht dß d. Clarinette ein so schönes Instrument sei. Übermorgen hoffe ich das deutsche Requiem hören zu können. In diesem Winter kommt auch die Duse nach Breslau! – Sie fragen nach Frau Souchon. Seit sie nach Oels übergesiedelt ist sehen wir sie sehr selten und empfinden das als eine Erleichterung. Das Zusammensein mit ihr kostet mich meist einen Kampf, weil ich mir vorgesetzt habe sie nicht fühlen zu lassen wie unsympathisch, oft sogar unangenehm sie mir ist. Nicht wahr, ich erfahre ob Sie den Besuch der Ihnen nun bevorsteht recht genießen konnten? ob Sie wohl waren? ob Sie nicht die neuen Sonaten spielten – oder ist der Arm noch nicht so weit? Nun ein herzliches Lebewohl mit innigen Grüßen von m. Schwester u mir für Sie u Marie, Gott behüte Sie, theure, geliebte Frau! (ich habe doch nicht zu viel geschwatzt?) Über Ihre Briefe seien Sie ganz ruhig, wenn ich den letzten noch ein paarmal gelesen, verbrenne ich ihn ganz ganz gewiß, parole d’honneur! Sie haben doch von dem übersandten Packet die äußere Leinwand abgetrennt? Darunter lagen auch Briefe von mir an Sie u Marie. In treuer Verehrung u Liebe Ihre
alte Elisabeth.