23.01.2024

Briefe



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ID: 19750
Geschrieben am: Montag 28.10.1895
 

Bern 28. Oktober.
Liebe, hochverehrte Frau Schumann
Sie waren so liebenswürdig, mir noch von Basel aus zu schreiben, und gar zu danken für das bischen Gastfreundschaft, das wir Ihnen hatten bieten dürfen. Meinen Dank aber für Ihren, uns so hoch erfreuenden Besuch, der Ihnen so große Unbequemlichkeit und Ermüdung verursachte, und der wirklich ein Opfer Ihrer Freundschaft war, bin ich Ihnen noch schuldig geblieben, doch mit dankbarem Herzen halten wir die Erinnerung daran fest, und die herrliche Romanze, die wir von Ihnen hören durften, wird mir zeitlebens in der Seele nachklingen.
|2| Von Brahms hörten wir letzte Woche in Zürich zu unsrer großen Freude, wie vortrefflich Sie aussahen, gnädige Frau, u. wie gut Ihnen der Sommer bekommen sei. – Das Zürcherfest war so schön, eine Reihe von höchsten Genüssen wurde geboten, die herrlichsten Compositionen in ausgezeichneter Wiedergabe erklangen vor unsern Ohren u. in gemütlicher Tafelrunde wurde viel Interessantes und Heiteres gesprochen. – Wir lernten auch wieder Freunde von Brahms kennen, die wir noch nie getroffen hatten, das Ehepaar Fritsch nämlich, die Ihnen wohl seither schon mündlich von den Festtagen werden erzählt haben, sowie |3| auch der liebe junge Johannes Hegar. –
Denken Sie, verehrte Frau, in den Hauptconcerten saß neben mir ein sehr ruhiger, kleiner junger Mann, der mit der ungetheiltesten Aufmerksamkeit zuhörte – erst nachdem alles vorüber war, hörten wir, daß es einer Ihrer Enkel sei, der in Zürich lebt. Auch Brahms hatte ihn nicht gekannt, u. wir Alle bedauerten so sehr, daß er als unbekannter Fremdling in unsrer Mitte gesessen hatte; wie gern hätten wir seine Bekanntschaft gemacht u. ihm von seiner verehrten Großmama erzählt, die wir ja kürzlich hatten sehen dürfen. Wie mögen ihn die wunderbaren Lieder u. das |4| unsagbar tiefe Nachtlied für Chor u. Orchester von seinem Großvater ergriffen haben!
Nun hoffe ich, daß Sie, liebe gnädige Frau, den Winter in guter Gesundheit erleben werden, daß Sie stets gute Nachrichten von Frl. Eugenie erhalten mögen u. bitten sehr, uns Frl. Marie herzlich zu empfehlen.
Entschuldigen Sie, verehrte Frau, daß ich an Sie geschrieben habe, aber es war mir Bedürfniß, Ihnen nochmals meine Liebe u. Verehrung zu Füßen zu legen, u. soll Sie zu keiner Antwort veranlassen.
Auf ein frohes Wiedersehn im Sommer hofft, mit vielen Grüßen von den Meinen,
Ihre herzlich ergebene
Sophie Widmann.

  Absender: Widmann, Sophie (1705)
  Absendeort: Bern
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
977ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 6,40
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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