23.01.2024

Briefe



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ID: 19793
Geschrieben am: Sonntag 17.09.1865
 

Verehrte Frau.
Herzlichen Dank für Ihre Zeilen! Es geht wieder passabel; nur im Kopfe schwirrt es noch und das Fasten hat mich marode gemacht. Mein einziger Kummer ist, daß eine Conzertprobe hat ausfallen müssen. Die Generalprobe zum Deserteur ist mir indessen ganz gut bekommen und ich hoffe zum Conzert wieder ganz auf dem Fleck zu sein. – Wenn ich nur wüsste, für welche Aufmerksamkeiten meinerseits Sie sich bedanken; Ironie ist sonst nicht Ihre Sache, sonst würde ich es dafür halten. Sie haben mir Ihr Haus zu einem heimathlichen gemacht, geben mir täglich Beweise herzlicher Freundschaft – ich bin in allen Beziehungen der empfangende Theil, nie der gebende – und zuletzt bedanken Sie sich noch, daß ich mir das Verwöhnt-werden so ruhig gefallen lasse! – Ich hatte Ihnen zu Ihrem Geburtstage allerdings eine kleine „Aufmerksamkeit“ zugedacht, die Freude ist mir aber durch eine Ungeschicklichkeit oder Nachlässigkeit des jungen Herrn Lessing in Berlin schändlich verdorben worden. Auf der Weimarer Bibliothek steht eine Büste Goethes als Jüngling, zu der er in Italien selbst gesessen und die er für seine beste erklärt; bisher durften keine Abgüsse gemacht werden, erst vor einigen Monaten sah ich die erste bei einer Freundin in Mannheim; ich erkundigte mich weiter und hörte, daß jetzt in Berlin Abgüsse gemacht werden. Drei Wochen vor Ihrem Geburtstage schrieb ich an den jungen Lessing, er möge mir sofort ein Exemplar schicken, oder mir gleich schreiben, wenn keines zu haben wäre; acht Tage später schickte ich einen zweiten Brief nach, und da immer keine Antwort kam, dachte ich, die Büste sei unterwegs; einige Tage vor dem 13ten schickte ich eine dritte Epistel ab – und bin heute noch ohne Antwort. Nun habe ich mich hinter die Eltern gesteckt und die Sache muß sich nächster Tage aufklären. Ist die Büste meiner Freundin ein Unicum, so muß sich Goethe in einen Apoll von Belvedère verwandeln – Einer von beiden muß auf den Porzellanofen im Flügelzimmer.
Das Brahms’sche Trio können wir Mittwoch Vormittag mit Strauß und Lindner probiren.
Sagen Sie Frl. Elise schönen Dank für ihre Zeilen; gestern hatte ich Brief von Emma aus Frankfurt des heitersten Inhaltes. – Ich komme Montag Abend zu Ihnen. Von 4–6 werde ich in Conzertangelegenheiten in Baden zu thun haben.
Haben Sie Frau Viardot zugesagt, sie zu begleiten? Ich glaube, sie hofft darauf. Nur darf es Sie nicht anstrengen. Morgen früh werde ich das Klavierkonzert mit dem Orchester durchgehen. Sagen Sie den Ihren und Johannes herzliche Grüße. Auf Montag! Per omnia saecula
Ihr treu ergebener
Hermann Levi.

Carlsruhe 17. Sept. 65.

  Absender: Levi, Hermann (941)
  Absendeort: Karlsruhe
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
463ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 10623,10-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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