Carlsruhe. 9. Jan. 66.
Verehrte Frau.
Es war mir leid, die Noten nicht mit einem Brief begleiten zu können, aber ich war trotz des Sonntages auf dem Punkte in eine Probe zu gehen und wollte die Absendung des Concertes nicht aufschieben. Die Zeilen von Frl. Marie habe ich um und umgewendet, ob nicht ein Wort Ihrer Hand zum Vorschein käme, aber vergebens. Es geschieht mir schon Recht. –
Mein Leben ist seit zwei Monaten getheilt zwischen zwei Frauen – der Afrikanerin und meiner Schwester; letztere bekommt die Brocken Zeit, die mir erstere übrig läßt. Es ist trostlos, daß wir Theater-Kapellmeister unsere Kräfte Dingen zuwenden müssen, die wir im innersten Herzen verabscheuen; und das Opfer an Zeit und Kraft wäre noch da wenigste, wenn man sich nur nicht in eine gewisse Liebe zu den Schandwerken hineinlügen müsste. Doch ich will nicht klagen. In der Sylvesternacht, die ich alter Gewohnheit nach ganz allein zu Hause zubrachte, habe ich beschlossen, vorläufig mit Allem zufrieden zu sein, was sich nicht ändern lässt, vor Allem mit mir selbst, dem bisherigen Gegenstande meiner ausgezeichnetsten Unzufriedenheit. Ich komme allmählig in die Jahre, wo es sich nicht mehr schickt, unter dem Vergleich unsers Lebens wie es ist, mit dem, wie es sein könnte, zu leiden, und doch kommt mir, wenn ich mich ans Klavier setze, statt eines freudigen C-dur Akkordes immer der Nonen-Akkord auf Des in Brahms’ f-Moll-Liede unter die Finger und ich muß die dazu gehörenden Worte summen. – Weihnachten war ich in Frankfurt. Das waren zwei herrliche Tage. Emma war mit der Vorsteherin des Wolfenbüttler Institutes hingekommen; ich denke, Sie haben sie gesehen, sie hatte wenigstens vor, Sie in Hannover oder Braunschweig zu begrüssen. Habe ich recht gesehen, wenn ich annehme, daß Ihnen Emma’s Wesen nicht symphathisch ist? Eine eigenthümliche, durch Nichts motivirte Scheu hat mich immer abgehalten, Ihnen von ihr zu sprechen und es kam mir vor, als ob auch Sie es vermieden. Hinterher habe ich mir auch einige Gründe zusammengeleimt, warum Sie sich nicht verstehen können, die aber wahrscheinlich eben sowenig stichhaltig sind, als meine Voraussetzung, daß Sie sich nicht verstehen. In solchen Sachen läßt sich Nichts reflectiren – das Geheimnis des Magnetes ist eben unergründlich. Ich kenne Emma nun acht Jahre; was Gutes an mir ist, dazu hat sie den Grund gelegt; sie hat aus einem wilden, unbändigen Musikanten einen halbwegs ordentlichen Menschen gemacht; ich verehre noch heute, wie damals, ihre schöne, harmonische Natur; ist es mir da zu verdenken, wenn ich den innigsten Wunsche habe, daß auch meine Freunde meinen Freund kennen und schätzen möchten? – – Frl. Breymann hat mich vollständig gefangen. Das will zwar nicht viel heißen, denn ich lasse mich leicht und gern fangen; aber wenn ich ein Kind hätte, ich würde es ihr unbedenklich anvertrauen. Wenn Sie einmal an Wolfenbüttel vorbeifahren und Zeit haben, so kehren Sie doch einmal ein! – Elise fand ich vortrefflich aussehend und heiter. Ich habe ihr Ihrem Wunsche gemäß nicht mehr geschrieben; nicht Ihr Wunsch selbst hatte mich befremdet, sondern nur, daß ich ihn von Elise und nicht von Ihnen hörte, doch waren allerdings die Tage hier nicht zu einem ruhigen Gespräche angethan. Ich weiß, daß Elise die Correspondenz ohne jeden Kampf, ohne das Gefühl einer Entbehrung aufgeben konnte und sein Sie versichert, daß – wäre ich nicht dessen fest überzeugt gewesen – ich ihr nie geschrieben hätte.
Ludwig hatte einige kleine Differenzen mit Herrn Knittl, die aber schnell wieder beigelegt waren. Den Anlaß dazu gab er dadurch, daß er einigemale früher aus dem Geschäfte wegging, ohne um Erlaubniß zu bitten (ich glaube es war bei Probe und Aufführung von Paradies und Peri). Das unbedingte Gehorchen, die Abhängigkeit vom Principal und Commis wird ihm schwer, er ist, wenn ich recht sehe, ein klein wenig hochmüthig, und zwar auf den Namen Schumann. Schreiben Sie ihm, bitte, Nichts über den speziellen Fall, denn es ist Alles wieder in bester Ordnung, wohl aber möchte es gut sein, wenn Sie ihn im Allgemeinen recht eindringlich auf seine Lehrlingsstellung- und Pflichten aufmerksam machen und darauf, daß er Herrn Knittl Dank schuldig ist und nicht Herr Knittel ihm für seine Arbeit.
Herr Will klagt hauptsächlich, daß er sich nicht wasche und auch ich finde, er könnte seine Haare etwas kürzer tragen. Die Hauptsache ist, daß er Freude an dem Geschäfte hat. Herr Knittel klagt auch durchaus nicht über seinen Fleiß oder seine Fähigkeiten.
Der Shawl, den ich Ihnen schicken sollte, hat eigenthümliche Schicksale gehabt; ich glaubte, er gehöre Brahms und habe es deshalb wohl an der gebührenden Achtung fehlen lassen. Ich wusste, daß ich ihn einmal auf eine Reise mitgenommen hätte, aber nicht wohin. Nun habe ich ihn in Mannheim wieder entdeckt und kann ihn Ihnen schicken, wenn Sie mir sagen wohin. – Wie geht es mit dem Arm? Ist Frl. Julie wieder ganz hergestellt? Gehen Sie nun doch nach Wien? – – In meinem Orchesterkonzerte habe ich die Lazarus-Fragmente gemacht. Caviar für’s Volk. – Die Aufführung von Paradies und Peri hat Kalliwoda dirigirt und ich darf deßhalb nicht darüber schimpfen. – Meine Schwester macht mir große Freude; zum erstenmale bin ich einmal längere Zeit mit ihr zusammen; ich glaube, ich hätte sie lieb, auch wenn sie nicht meine Schwester wäre. Ich hoffe, sie kommt auch einmal im Sommer hierher. – Der kleine David ist verlobt mit einer Schauspielerin hier, Frl. Christen. Frau Schroedter wird alle Tage sentimentaler, Frau Lessing das Gegentheil davon. Ich sehe sie selten; bin meistens mit meiner Schwester oder Allgeyer Abends zusammen. Ich hätte nie gedacht, daß ich 1 ½ Jahre in einer Stadt leben könnte, ohne intime Beziehungen! –
Nun genug. Entschuldigen Sie daß ich etwas ausstreichen musste – es war zu dumm. Grüßen Sie Frl. Marie freundlichst. In treuer Freundschaft Ihr
Hermann Levi.