Verehrteste Frau.
Wie Ihnen Graf Flemming mitgetheilt hat, wollte ich Sonntag früh nach Baden kommen. Mein Vorhaben wurde durch die Nachricht von der
Schlacht bei Wörth vereitelt, in Folge welcher ich Samstag Nacht mit einem Transport Lebensmittel nach dem Schlachtfeld aufbrach. Als Mitglied des Männer-Hilfs-Vereins stehe ich diesem unbedingt zur Verfügung, es ist möglich, daß ich morgen wieder zu einer Expedition verwandt werde, vielleicht aber auch kann ich mich einen Tag für Baden frei machen.
Mein Rath ist, wie der Flemmings: Sie möchten ruhig in Baden bleiben. Dort sind Sie vollständig geborgen. Eine Reise nach der Schweiz hat – gleichviel ob Sie den Weg über Offenburg oder Stuttgart nehmen, die größten Schwierigkeiten. Ist Ihnen aber der Aufenthalt in Baden im geringsten unbehaglich, so kommen Sie hierher. Ich habe eine gut eingerichtete Wohnung von 4 Zimmern und 3, nöthigenfalls auch 4 Betten und einen Flügel zu Ihrer Verfügung. Telegraphiren Sie nur, daß Sie den Vorschlag annehmen, und ich komme sofort, Sie abzuholen. Hier haben Sie immer die neuesten Nachrichten, hier haben Sie und Ihre Kinder vollauf Gelegenheit, sich nützlich zu machen, und hier sind Freunde, mit denen sich auszusprechen allein schon die Unannehmlichkeit einer provisorischen Wohnung aufwiegen wird. Sie geniren Niemanden, die Wohnung steht sonst leer. Bitte schlagen Sie ein. Was die Rückreise von Felix betrifft, so zögern Sie doch noch einige Tage! Ich weiß, was es heißt, sich in solcher Zeit durch den aller Orten herrschenden Durcheinander hindurchzuarbeiten. Muß er aber reisen, so möchte ich ihn gerne sprechen, um ihm Informationen zu geben. Kann er mich nicht hier aufsuchen, so telegraphiren Sie mir und ich komme nach Baden. Möglich, daß ich schon vor diesen Zeilen bei Ihnen bin, es kommt, wie gesagt, darauf an, ob ich von meiner Vereins-Abtheilung Urlaub bekommen kann oder nicht. Ist es Ihnen eine Beruhigung, mich zu sprechen, so nehme ich mir diesen Urlaub, wenn ich ihn nicht bekomme.
Telegraphiren Sie mir jedenfalls nach Empfang dieser Zeilen. – Ich erwache eben aus 16-stündigem Schlaf. Die Anstrengung auf der Expedition war ungeheuer. Was ich dort gesehen und mitgemacht, ist unbeschreiblich. Es ist mir, als ob ich mich nie mehr über eine Sieges-Nachricht freuen könnte.
Wie immer in herzlicher Treue Ihr
Hermann Levi.
9. Aug. 70.
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