Verehrte Freundin.
Ihren in der Depesche mir angekündigten Brief habe ich bei meiner Rückkunft gestern nicht vorgefunden. Ist er verloren oder nicht abgesandt worden? Wie gerne möchte ich Sie sprechen, aber ich gestehe offen, daß ich mich in jetziger Zeit nicht entschließen kann, mich einen Tag von hier zu entfernen, ohne das bestimmte Gefühl zu haben, auch etwas helfen, irgend Jemandem nothwendig zu sein, und so bitte ich Sie nochmals, mir doch mit ein paar Worten zu sagen, welche Dispositionen Sie für die nächste Zeit getroffen haben, ob Sie in Baden bleiben wollen, oder meinen Vorschlag annehmen, während der Kriegsdauer hierherzuziehen. Heute früh war ich am Bahnhofe, um mich über die nach Baden gehenden Züge zu unterrichten – da kam ein Zug Verwundeter, die getränkt, verbunden und transportiert werden mussten und ich sah eben ein, daß ich mit dem besten Willen zu der Reise nach B. nicht kommen werde, außer wenn ich Ihnen wirklich in irgend einer Weise dienen könnte. Zu der Uebersiedelung hierher habe ich Ihnen gerathen, weil vor 8 Tagen das Gerücht ging, es treibe sich in B. allerlei unnützes Gesindel herum. Seitdem aber hörte ich, daß Alles wieder sicher und ruhig sei. Sobald Ihnen der Aufenthalt im geringsten unbehaglich ist, kommen Sie hierher; die Wohnung ist für ein Interimisticum ganz bequem. Unsre letzte Expedition (von Weissenburg bis in die Nähe Strasburg’s) fand wieder viel zu thun, doch ist dem Haupt-Elend einigermaßen gesteuert. Nächster Tage werde ich nach Saarbrücken zu kommen suchen. – Von meinem Schwager (Major in französ. Diensten!) bin ich seit 14 Tagen ohne Nachricht. Meine arme Schwester ist allein in Paris. Kein gefangener Offizier konnte oder wollte mir Auskunft geben, wo sein Regiment steht. Preisen Sie sich glücklich, daß Sie keine directen Angehörigen unter den Waffen haben! – Morgen, als am 15. Aug (Napoleonstag) erwartet man allgemein eine Hauptschlacht. Gott schütze unsre heilige Sache, wie bisher!
In Treue und Verehrung
Ihr
Hermann Levi.
Che. 14/Aug. 70.
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