Verehrte Freundin.
Ich bin durch ein schmerzliches Familienereigniß acht Tage in Mannheim festgehalten worden; der Beste, der Liebste meiner Verwandten, Bruder meiner Mutter ist nach kurzer Krankheit einer Gehirnlähmung erlegen… Gestern hierher zurückgekommen, fand ich meine Schwester so über alles Erwarten besser, daß ich nun doch noch an eine kleine Erholungsreise denke. Der Arzt selbst, der bisher nur zögernd eine wesentliche Aenderung ihres früher so bedenklichen Zustandes zugeben wollte, glaubt nun, an die Möglichkeit Ihrer Rettung. Wenn es wirklich so wäre, wenn sie uns erhalten bliebe – ich glaube ich würde alles eigene Leid vergessen, und wieder ein glücklicher Mensch werden. – Wohin ich meine Schritte lenke, weiß ich noch nicht. Vielleicht ein rheinisches oder thüringisches Dorf. Jedenfalls komme ich vorher noch einmal nach Baden. – Wegen Ferdinand habe ich mit Ladenburg gesprochen. In Mannheim ist keine Stelle für ihn. Wendelstadt’s Unternehmen wird sehr prosperiren; wenn er dort ankommen kann, soll er zugreifen. Noch besser wäre es, wenn Ludwig Ladenburg sich für ihn interessiren würde. In Wien erstehen täglich neue Banken, industrielle Unternehmungen aller Art. Ladenburg ist dort von großem Einflusse. Ich habe an ihn geschrieben, erwarte täglich Antwort. – Allgeyer wird das Doppelbild in etwas grösserem Formate photographiren. Das Jugendbild ist bereits von Schimmel gereinigt. – Ricinus zu pflanzen, ist es noch nicht zu spät. Ich werde Samen mitbringen. – Hat Ihnen Brahms von der Fortsetzung jenes angebrochenen Abends erzählt? Ich wurde damals wirklich, wie er prophezeit, als gepäckloser Wanderer von allen Hausknechten, die ich herausklopfte, mit Verzweiflung abgewiesen, fand auch im Wartesaal alle Stühle bereits mit Schnarchenden besetzt, und pilgerte schließlich in herrlicher Morgenluft gen Oos. Das ist der Fluch der bösen That; warum giebt Frl. Marie immer so spät das Zeichen zum Aufbruch. Diesmal wäre ich ihr für rechtzeitiges Lichterausdrehen sehr dankbar gewesen. – Wenn Sie in Teppich-Angelegenheiten hierherzukommen vorhaben, so geben Sie mir bitte vorher Nachricht, damit wir nicht etwa an einander vorbeifahren. – Daß die Ueberschrift meiner letzten Briefe anders gelautet, daran war Schuld: erstens meine angeborene Schüchternheit, zweitens heftige Gewissensbisse und in Folge dessen drittens ein Gefühl der Unsicherheit, das noch während des letzten mit Ihnen verbrachten Abends wieder von mir gewichen ist. Daß Sie es aber überhaupt aufgemutzt haben, war sehr lieb von Ihnen. – Herzlichen Gruß. Auf baldiges Wiedersehen.
Ihr treuergebner
Hermann Levi.
Carlsruhe 24.6.71.
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