23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 19872
Geschrieben am: Sonntag 22.07.1877
 

Liebe Frau Schumann!
In diesen meinen Ferien hoffte ich Sie nun ganz sicher zu sehen; mein Plan war, in Giessen zu warten, bis Sie von Kiel aus in diese Gegend kommen würden; Sie dann nach Bädern oder Baden zu geleiten – aber ich habe Alles in Ruhe lassen müssen, konnte nicht einmal meinen Vater sehen. –
In Heidelberg fühlte ich mich so unwohl, daß ich geraden Weges hierherreiste. Hier angekommen (3 Juli) legte ich mich zu Bette, und – so liege ich heute noch. Gastrizismus, Magenkatarrh. Seit gestern endlich schimmert eine Hoffnung: habe zwei passable Nächte gehabt und ein Hühnerbeinchen abgeknabbert; vielleicht darf ich nun auch bald aufstehen. Der Arzt stellt eine sehr langsame Reconvalescenz in Aussicht; keinesfalls werde ich bei Beginn der Saison (13. Aug.) wieder in München sein können, was mir sehr fatal, da gerade jetzt meine Anwesenheit dringend nöthig – (Wahl eines Nachfolgers für Wüllner2 etc). Wenn ich nur überhaupt wieder zu Kräften komme! Welch eine trostlose Existenz seit 2 ½ Wochen. Mutterseelenallein!
Schlaflose Nächte, endlose Tage, schwarze Gedanken. – Aber ausserordentliche Pflege. Der Arzt – eine anerkannte Autorität3 – kommt 3–4 mal täglich; habe einen Diener ganz für mich. Bedauern Sie mich ein wenig – das soll der Genesung sehr förderlich sein, und gewaltig soll sie beschleunigt werden durch das Lesen lieber Briefe von lieben Menschen. –
Liebe Frau Schumann – Sie müssen diesen Winter nach München kommen und in der Akademie spielen; entweder vom 12 November bis Weihnachten, oder zwischen Aschermittwoch und Ostern. Und lange bleiben, und bei mir wohnen, nicht bei Pacher! Ich kann Ihnen, ohne daß es mich im geringsten genirt, 3 Zimmer zur Verfügung stellen. Bitte schreiben Sie mir, ob eine Möglichkeit! Soll ich mich dann mit Schletterer wegen Conzert in Augsburg in Verbindung setzen? Und Nürnberg? –
Daß Wüllner geht, thut mir sehr leid, ich hoffe für ihn, daß er es nicht bereuen wird; einstweilen glaube ich nicht, daß er gut gethan! Wie er bei uns ersetzt werden soll, ist mir nicht klar; an der Schule und bei der Vokalkapelle ist er unersetzlich. Meine Beziehungen zu ihm sind sehr gut; ich glaube er denkt gut von mir, wie ich von ihm, daß wir nicht intim werden konnten, lag in den Verhältnissen. –
In England sollen Sie arge Verwüstungen in den Herzen der Menschen angerichtet haben! Und wie schmunzelte Frl. Marie, da ich die Rede darauf brachte, der Vormittag in Baden ist mir in angenehmster Erinnerung, freute ich mich so sehr, das Häuschen wieder zu sehen, (wenn es auch in den Zimmern traurig aussah gegen früher) dann waren die beiden Damen so nett und so lustig, Frl. Eugenie mit einem Sonnen-Heiligenschein um das Haupt – Und von der Stimmung der Kinder darf man ja wohl auf die der Mama schliessen?
Habe schon mehr geschrieben als ich verantworten kann; bin ganz müde. – Wie geht es Felix? Wird er die Ferien mit Ihnen verbringen? Senden Sie mir bald ein Zeichen. Mit herzlichem Grusse für Sie Alle
Ihr treuergebener
Hermann Levi.

Alexandersbad bei Wunsiedel. (Bayern)

Frau Fiedler schrieb in einiger Verzweiflung – hat bei Kirchner Stunde, und ist entsetzt über dessen Auffassung Schumann’scher Musik gegenüber der Ihren; fragte mich, ob sie die Stunden unbeschadet ihres Seelenheiles weiter nehmen könne?

  Absender: Levi, Hermann (941)
  Absendeort: Alexanderbad
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
738f.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 10623,89-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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