Montag, 7.6.80.
Liebe Freundin.
Da ich mich nicht wohl genug fühle, allein in die Schweiz zu reisen, das Wetter übrigens auch nicht sehr einladend ist, so habe ich mich kurz entschlossen: einige Wochen in Giessen bei meinem Vater zuzubringen. Dort habe ich, was ich einzig zu meiner Erholung brauche; absolute Ruhe. Ich komme morgen nach 4 Uhr in Frankfurt an (hoffe wenigstens, die Reise ohne Unterbrechung machen zu können) ruhe mich dann im Frankfurter-Hof ein paar Stunden aus, und komme ungefähr um 7 Uhr, vielleicht auch noch früher, zu Ihnen. Haben Sie nun für diesen (Dienstag) Abend bereits Etwas verabredet oder haben Sie etwa Gäste bei sich, so schreiben Sie mir dies in den Frankf. Hof – dann komme ich erst Mittwoch früh zu Ihnen. –
Von ganzem Herzen danke ich Ihnen für Ihren Brief. So konnte nur ein wirklich treuer und besorgter Freund schreiben; es hat mich stolz und andererseits doch – bekümmert gemacht, denn ich werde mich nicht mehr ändern können, es steckt gar zu tief. Lenbach sagt: Der Mensch hat nicht – er wird gehabt. So geht es auch mir. Ich bin, so lange ich lebe, von meinem – Instincte beherrscht worden, habe mit Vernunft und Willen nie etwas über mich vermocht. Und so werde ich zugrunde gehen müssen, meine liebsten Freunde verlieren müssen, ohne das rollende Rad hemmen zu können. Aber meine Kraft ist noch zu schwach, um diese Gedanken weiter auszuführen. Auch morgen wollen wir uns nicht allzu sehr denselben hingeben. Grüssen Sie die Ihren herzlich von mir. Nochmals tausend Dank für Ihren Brief.
Getreulich immer Ihr
Hermann Levi.
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