Liebe Freundin.
Ich hätte längst einmal geschrieben; aber ich bin schon seit 4 Wochen unwohl. Vierzehn Tage war ich zu Hause, seitdem versehe ich wohl meinen Dienst, aber ich kann und soll weder schreiben, noch Klavierspielen. Habe geschwollene Hände. Kein Arzt weiß, woher es kommt, noch was dagegen zu thun ist. Ich sollte fort, einige Zeit Nichts-thun, aber ich möchte mich gerne noch bis Januar so hinschleppen, da ich während des Carneval hier noch am ehesten entbehrlich bin. Gerne hätte ich Ihnen längst für Ihren lieben Brief gedankt, welcher die Rücksendung des Briefleins begleitete, für Ihre verständnissvollen Worte, und dann für das Geburtstagstelegramm, aber abgesehen von der physischen Nöthigung, mich des Schreibens zu enthalten, fehlt mir auch jetzt alle Stimmung – –
Heute möchte ich nur melden, daß wir gestern wieder Genoveva gehabt haben. Wie ich glaube, in sehr guter Ausführung.
Vogl hat sich selbst übertroffen; und Frl. Blanck (Margaretha) war so vorzüglich, daß nach dem ersten Akte ein kolossaler Enthusiasmus war. Fünfmaliger Hervorruf – hier eine grosse Seltenheit. Frau Wekerlin war gut, aber etwas weinerlich, ich muß sie vor der zweiten Aufführung (Dienstag) noch einmal vornehmen. Fuchs – Siegfried, sehr frisch. Aber hoch über Allen stand Vogl. Ich war selbst erstaunt und gepackt; die Steigerung im II. Akte von dem Liede bis zu dem Fluche war ganz eminent. Wenn Sie ihn doch einmal hören könnten! Am Ende kommen Sie Dienstag? Ich würde Ihnen das Werk mit ganz gutem Gewissen vordirigiren, denn ich habe das Bewusstsein, daß die Aufführung gut ist.
Also nehmen Sie in Anbetracht meiner augenblicklichen schlechten Verfassung mit diesen wenigen Zeilen vorlieb. Viele Grüsse an Ihre Kinder!
Herzlich und getreulich immer
Ihr
Hermann Levi.
23.11.83.
Die Es-dur-Sinfonie liegt auch seit 4 Wochen bei mir zur Correctur – ich konnte aber noch nicht darangehen.
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