Liebe Frau Schumann!
Ich bin schon seit 12 Tagen hier in Vordereck und wünsche Sie herbei, aber das Gerücht geht, Sie würden erst im August kommen? Dann würde ich Sie gar nicht sehen können, denn mein Urlaub geht Anfang August zu Ende. Jedenfalls werde ich den ganzen Juli noch hierbleiben, habe nie ein schöners Fleckchen Erde gesehen (Italien, das mir noch gewaltig in Herz und Kopf steckt, immer ausgenommen!) Ich bin mit Reitzenstein (dem Bruder meiner seligen Marie) hier – wir machen tüchtige Fußtouren, waren schon auf dem Göhlstein, der Gotzenalp, (mit Frank und Frau) in Dürnberg, Vorderbrand etc. Ich geniesse zum ersten male in meinem Leben die Berge, gegen welche ich eigentlich immer ein Vorurtheil hatte, und wenn es so fortgeht, werde ich in meinen alten Tagen noch ein richtiger „Bergfex“.
Heute ist – nach 2 Regentagen – das herrlichste Wetter, klarste Luft, die Berge sind noch bis tief herunter beschneit, Alles glitzert und funkelt und lacht im Sonnenschein. Wären Sie doch da! Heute Nachmittag wird in der Diensthütte auf der Ofner Alm ein Café bereitet. Frl. Meyer jammert auch, daß Sie erst im August kommen wollen. Herzogenberg’s habe ich auch schon besucht. Der Frau geht es sehr gut seitdem sie (wie auch ich) die Oertel’sche Kur gebraucht. – Fiedler’s sind in Crostewitz. Ich habe fast meine ganze Reise in Italien mit ihnen gemacht: Florenz, Rom, Siena. Ihr kleines Heim in Florenz ist entzückend schön. Auch Hildebrand’s habe ich mich sehr angefreundet. Nehmen Sie sich doch einmal Urlaub, und bringen Sie zwei Frühlingsmonate in Florenz und Rom zu! Ich bin noch ganz von allem Erlebten und Erschauten. Hätte das Land auch noch Musik, so möchte ich gleich Deutschland Valet sagen und mich dort ansiedeln! – –
In der Försterei und Umgegend ist grosser Jammer, daß Frl. Villunger und Frl. Eugenie nicht kommen; Wastl soll schier geweint haben. –
Darf ich – nach 1 ½ Jahren – wieder einmal nach den Abschriften der Wagner’schen Briefe fragen? Sie waren mir für den Herbst 83 zugesagt, und ich bin Wahnfried gegenüber in einer sonderbaren Lage – – Jetzt werden Sie nicht mehr dazu kommen, aber nach Ihrer Rückkehr hoffe ich. . . .
Wenn Sie nach Gastein gehen, besuche ich Sie vielleicht einmal dort, denn sehen muß ich Sie doch, da ich Vordereck hauptsächlich in der Hoffnung auf ein Zusammensein mit Ihnen zum Aufenthalt gewählt hatte.
Herzliche Grüsse Ihrem ganzen Hause
von Ihrem getreu ergebenen
Hermann Levi.
Vordereck. 24.6.85
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