Liebe Frau Schumann.
Es geht mir nicht besonders! Meine Nerven sind sehr herunter; die Aerzte glauben zwar übereinstimmend, daß ich mich wieder ganz erholen werde, aber mir selbst ist gar nicht hoffnungsvoll zu Muthe. Einstweilen habe ich noch Urlaub bis zum 15. August. Wie ich diese Zeit anwenden werde, ist noch nicht bestimmt; ich schwanke zwischen See und Hochgebirge.
Einstweilen bleibe ich noch hier, wo ich das einzige Heilmittel, was mir taugt: Ruhe, in vollem Maasse habe. Uebrigens werde ich, wenn ich meinen Beruf nicht mehr weiterführen kann, auch das mit Resignation ertragen. Neunundzwanzig Jahre einer so aufreibenden Thätigkeit ist genug, und auch als Pensionär werde ich meinem Leben noch einigen Zweck und Inhalt abzugewinnen wissen.
Ich soll gar nicht schreiben. Also nehmen Sie mit diesen wenigen Zeilen vorlieb! Herzlichen Gruß Ihren Kindern! Daß ich Frl. Eugenie nicht besucht habe, möge sie begreifen und verzeihen: ich war nur wenige Stunden in Frankfurt und hatte schon damals die ärztliche Direction: mich möglichst ruhig zu verhalten.
Von Herzogenberg’s habe ich seit 3 Wochen Nichts gehört, was mich einigermassen ängstigt, da Frau Lisl mir sonst ziemlich regelmässig Briefe zu geben pflegte. Die armen, lieben Menschen haben einen entsetzlichen Winter in München verlebt!
Haben Sie Dank für Ihre Besorgniß um mich. Wer weiss, vielleicht sehen wir uns auf dem Salzberg – wenn das Hochgebirge über das Meer siegt.
Immerdar Ihr treu und herzliche ergebener
Hermann Levi.
Cannstadt. Wilhelmsbad.
7.6.88.
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