23.01.2024

Briefe



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ID: 19940
Geschrieben am: Freitag 28.08.1891
 

Verehrte Freundin!
Wie sehr bedaure ich, daß ich Ihnen ausser dem Aerger über mich auch noch die Mühe eines langen Briefes bereitet habe! Aber ganz so unfreundschaftlich, wie Sie annehmen, war mein Verhalten doch nicht! Ich war um ½ 2 Uhr oben angekommen. Da ich Ihre Gewohnheit nach Tisch zu ruhen wohl kannte, wollte ich mich zunächst Ihnen gar nicht zeigen; blieb also auf der Terasse des unteren Hauses bis nach 2 Uhr, als wann ich annehmen konnte, daß Sie sich bereits in Ihr Zimmer zurückgezogen haben würden; ging dann hinauf, und um 3 Uhr bat ich die alte Dame, mich zu melden, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie sich vorher überzeugte, daß Sie Beide nicht schliefen. Die Dame (ich habe ihren Namen vergessen, was Sie ihr aber nicht sagen dürfen!) versprach, ganz leise und vorsichtig zu spähen und kam mit der Botschaft zurück, Frl. Marie schlafe nicht, und lasse mir sagen, die Mama sei erst von ½ 5 Uhr an zu sprechen, was ich sehr begreiflich fand. Weniger begreiflich fand ich allerdings, daß Frl. Marie im Verlaufe der weiteren Stunde, die ich wartete (bis 4 Uhr)
nicht der Mühe werth fand, mich zu begrüssen, und meine Verwunderung hierüber steigerte sich im Verlaufe der – trotz der liebenswürdigen Conversation von Frl. Johanna doch recht langen – Wartezeit zu einem wirklichen Zörnchen, dessen Wirkung mein plötzlicher Aufbruch (um 4 Uhr) war. Da sich nun aber, wer sich von einem Unmuthe hinreissen lässt, entschieden in’s Unrecht setzt, empfand ich schon, als ich bei Thekla eine Tasse Cafe trank, rechte Reue, und wäre entschieden wieder hinaufgekraxelt, wenn meine alten, des Gehens ungewohnten Beine dies mir gestattet hätten, und wenn ich nicht den um 6 Uhr von Berchtesg. abgehenden Zug hätte erreichen müssen. Ich bitte also hiermit herzlich und dehmüthig um Vergebung, und wenn andrerseits Frl. Marie sich (nicht mir) sagen würde, daß es vielleicht graziöser gewesen wäre, wenn sie mich eines directen Wortes oder einer Zeile gewürdigt hätte, so wäre damit die ganze Angelegenheit wieder aus der Welt hinausexpedirt, und vergessen!
. . . . . . . . . . . . .
Ich habe gestern gleich an Perfall geschrieben. In der Sonntag früh erscheinenden Nummer der Neuesten steht das Repertoire für die nächsten 10 Tage, das hoffentlich die Erfüllung Ihres Wunsches bringt. – Vielleicht komme ich schon am 6ten Abends nach München. Es wird in diesen Tagen (vom 5–9ten) grosser Fremdenandrang in München sein, wegen der Kaiser-Manöver, so daß Sie gut thun werden, sich rechtzeitig Zimmer zu sichern. –
Auf gutes Wiedersehen in München!
Mit herzlichem Gruße an Frl. Marie
Ihr verehrungsvoll und herzlich ergebener
Hermann Levi.

Reichenhall. 28.8.91.

  Absender: Levi, Hermann (941)
  Absendeort: Reichenhall
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
911f.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 10623,156-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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