23.01.2024

Briefe



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ID: 20695
Geschrieben am: Freitag 12.12.1862
 

Leipzig Freitag d. 12 Dec. Morgens 5 Uhr.
Welch ein schwerer Tag gestern, und welche Nacht diese! Es war ein wahrer Unglücksbrief, Ihr Brief! Ich erhielt ihn gestern, als ich mich eben hinlegen wollte, nach Tisch, um meine Kräfte für den Abend zu sammeln, natürlich war daran nicht zu denken! ich habe immer weinen müssen bis zum Concert und nachher wieder, und wie unglücklich habe ich gespielt! ach, ich konnte ja nicht, war zu sehr niedergedrückt! – Soll ich Ihnen sagen, wie sehr Sie mich gekränkt haben? verdiene ich solche Bitterkeit? für all meine liebevolle Gesinnung? – Sie werfen mich in eine Schale mit den Freunden, die es kalt ansehen, ja natürlich finden wenn Sie Stunden geben, während unser eins den Faust anhört? – mir sagen Sie das, die ich diesen Winter noch keinen Genuß hatte, wo ich nicht mit Wehmuth an Sie dachte, und daß Sie ihn entbehren mußten? – Wenn ein Mensch es empfindet was Sie unter den Verhältnissen dort, den vielen Entbehrungen, lei¬den müssen, so bin ich es; täglich denke ich daran, und was ich thun kann Ihnen von dort zu helfen, ich habe hier jede Gelegenheit wahrgenommen für Sie zu wirken, und so schöne Hoffnungen gewonnen, wäre es denn aber recht freundschaftlich, wenn ich anders thäte, als Ihnen zuzureden noch auszuhalten? ich will Sie ja so gern erheitern, Ihnen Muth zusprechen – und Sie können das so kränkend verkennen? – Sie glauben, ich wollte an Ihnen einen hausbackenen vernünftigen Freund, ach, wie irren Sie, wenn Sie meinen, ich habe kein schwärmerisches Gemüth? ach, nur zu viel nach dem [sic] Begriffen der Welt. – eben, weil ich es habe, fürchte ich das Uebermaß. – Sie sollen mir ja schreiben, wie lieb Sie mich haben, auch schwärmen, jedes liebe Wort thut mir ja so wohl, aber nur nicht das „Du“ glauben Sie nicht, daß mein warmes Herz sich gar leicht an solch trauliche Ansprache gewöhnt? aber, wie schwer ist dann der persönliche Verkehr! – – lieber Freund, ich habe eine Erfahrung gemacht, die Jahre lang an meinen Innersten gezehrt hat, erst vorigen Sommer fühlte ich erst wieder, daß das alte frische Herz noch in mir lebt. –
Daß Sie mich so lieb gewonnen, daß ich auch glauben konnte Ihnen etwas zu sein, das erwärmte mich so wohlthuend, Ihre oft so lieben Worte berührten mein Innerstes wie milde Luft, ich arbeitete wieder froh, fand durch Ihre Briefe immer neue Kraft, und nun, wie schrecklich betrübend Ihr gestriger Brief. – Wie konnten Sie nur auch meinen Brief nach Basel so mißverstehen? – ich schreibe Ihnen ja poste restante oder anders wie Sie wollen, hier hatte ich nur das Bedenken, man könne von der Post aus den Brief nach Riggenbachs schicken, da man Sie dort wohnen weiß, und wie unangenehm wäre das denn! hätten Sie mir Ihren Grund dafür doch gleich gesagt, ich konnte ihn ja nicht ahnen. An Riggenbachs liegt ein Brief seit Frankfurt angefangen, ich konnte ihn nicht fertig bringen. Und, am Ende haben Sie auch meinen Scherz mit dem „ungestümen Freund“ mißverstanden? – mir deshalb 14 Tage nicht geschrieben? und sagen mir deshalb Sie seien recht lustig geworden etc! –
Mußten Sie denn aber nicht aus meiner Bitte, nicht zur bestimmten Stunde Brief von mir zu erwarten, ersehen, wie ungern ich Sie warten ließ? – sähen Sie es nur mal 8 Tage mit an, welch Leben von früh bis Abend ich führen muß, wie ich nur die frühesten Morgenstunden, oder spätesten Abends habe, um mit Ihnen traulich, ohne Störung sprechen zu können! Diese Stunden sind mir zu lieb, aber nicht immer habe ich die Kraft, bei den so großen Anstrengungen des Tages über. Ach, es ist so betrübt, daß ich das Alles so auseinandersetzen muß!
Und nun das Allertraurigste! Sie sagen, es habe Sie Niemand recht lieb! hatte ich doch gedacht, „Sie müßten es jeder meiner Worte immer an¬fühlen, wie lieb ich Sie habe[“] – Sie können doch sonst so zart empfinden! ach, ich habe Sie viel fester auf mich bauend geglaubt.
Ich kann Ihnen von mir sonst nichts weiter sagen, als daß ich Sonnabend im Quartette spiele, Sonntag früh 6 Uhr schon nach Breslau muß, den ganzen Tag reise, wo mir leider viel Zeit zum Nachdenken bleibt. Solche Reisetage sind schrecklich, da zieht so das ganze Leben mit all dem verlornen Glück und den Täuschungen an einem vorüber, da möchte man denn immer laut aufweinen – wie viele Solcher verbrachte ich schon! –
Montag spiele ich noch mal. Meine Adr. ist dort Hôtel zur goldenen Gans. Ich hoffe diese Zeilen treffen Sie nicht mehr in so trüber Stimmung, und denken Sie an den Sommer in Baden –.
Warum wollen Sie sich die 14 Tage in Bipp und das Octett mit Walther als Ihre Erholung denken? warum nicht Baden – und Octett von Mendelssohn mit mir? – es ist doch manchmal als gefielen Sie sich in den trübsten Bildern. Thuen Sie das doch nicht, ich weiß aus eigener Erfahrung wie sehr das die Thatkraft lähmt. Jetzt muß ich Ihnen Lebewohl sagen, ich kann über anderes nicht schreiben, denn ich bin aufs tiefste betrübt, muthlos. Richten Sie mich wieder auf, und möchte Ihnen mit der Zeit das sichere Gefühl meiner Freundschaft (nicht Teilnahme) werden, damit Sie nie wieder Ihre Bitterkeit gegen mein treues Herz kehren. Sie thuen großes Unrecht daran.
Ihre Clara Schumann.




  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Zürich
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
154-157

  Standort/Quelle:*) Autograph verschollen. Abschrift in A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 1, S. 104–108, Nr. 29.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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